Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Ist ja irgendwie schon geil. Die entscheiden im Namen des Volkes, aber wollen das Volk möglichst im Dunkeln lassen. Die müssen ja alle furchtbare Minderwertigkeitsgefühle haben, die Damen und Herren Richter, wenn sie dermaßen auf Intransparenz angewiesen sind. Da müssen ja lauter furchtbare Fehlurteile in den Giftschränken liegen, die bei Bekanntwerden direkt 2/3 der Richter in die Frühpension schicken würden!
Un-glaub-lich. Echt mal. Was für eine Farce!
Update: Ein Leserbrief widerspricht:
also so sehr aufregend und empörend ist das ja jetzt nicht. Wie soll das denn in der Praxis aussehen: Da soll also jedes Gericht in Deutschland eine Stelle einrichten, die jedem Bürger (Wutbürger, Querulant, links-/rechts-/oder was-auch-immer-orientierter, Fefe oder Fefe-Blogleser) den anonymisierten Volltext jedes Urteils zusendet. Das ist schonmal praktisch nicht zu machen. Da könnte jede Organisation die Gerichte lahmlegen: Sozusagen eine analoge DDoS-Attacke ...
Den Urteilswortlaut bekommen ja Journalisten (die Presse), er wird veröffentlicht, und Rechtsanwälte kommen auch dran; sogar Bürger kommen dran, wenn sie ein berechtigtes Interesse geltend machen können. Das ist immer so eine Fehlvorstellung von Nichtjuristen: Nur weil Juristen (anders als zB Ärzte, oder ITler, oder viele andere Berufsgruppen) die deutsche Sprache verwenden, denken Nichtjuristen immer, sie würden alles verstehen, was in so einem Urteil steht. Das ist aber eine Fehlvorstellung. Häufig ist es schon schlimm genug, wie sich die Presse mit Urteilen auseinander setzt, ohne etwas verstanden zu haben.
Strafurteile enthalten übrigens alle von Gericht zu verwertenden Tatsachen und Informationen, und da sind lauter äußerst sensible Dinge über Täter (und ggf auch über Opfer) drin. Und selbst wenn die Namen geschwärzt sind, ist ja schnell jedem klar, um wen es geht. Da wird oft die ganze Lebensgeschichte dargestellt, weil die möglicherweise für die Schuld und das Strafmaß eine Rolle spielt.
Also, ehrlich: Das ist kein Problem, dass das nicht jeder sehen kann.
Update: Noch ein Leserbrief widerspricht dem ersten Leserbrief:
zu dem Leserbrief zum Artikel https://blog.fefe.de/?ts=a57d09a8 habe ich eine Anmerkung - die Gedanken, die darin enthalten sind, kann ich überhaupt nicht teilen.
Hier geht es um ein Urteil in Strafsachen. Der wichtigste Grundsatz, auf dessen Grundlage das Gericht ein solches Urteil fällen kann, findet sich in § 261 StPO, und zwar der Grundsatz des Inbegriffs der Hauptverhandlung: "Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung."
Das bedeutet, daß sich ein Urteil nicht auf Informationen, Tatsachen, und Prozeßstoff stützen kann, der nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war. Gegenstand der Hauptverhandlung ist zunächst alles, was dort mündlich erörtert wurde und damit für jeden Prozeßteilnehmer, auch für Zuschauer, frei zugänglich ist, soweit nicht z.B. die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde. Von diesem Grundsatz gibt es nur sehr wenige Ausnahmen, z.B. das zu Recht kritisierte "Selbstleseverfahren", oder auch der Ausschluß der Öffentlichkeit oder anderer Prozeßbeteiligter, aber der Grundsatz selbst gilt - was Grundlage des Urteils ist, muß zuvor in öffentlicher Hauptverhandlung eingeführt worden sein, weil sonst der Öffentlichkeit eine Prüfung der Urteile gerade nicht möglich wäre.
Der Leserbrief, den Du veröffentlicht hast, offenbart ein sehr kritikwürdiges Verständnis von dem Grundsatz, daß Geheimjustiz nicht stattfinden soll. Jeder kann grundsätzlich einer Hauptverhandlung beiwohnen und sich Kenntnis über alles verschaffen, was dort erörtert wird. Warum sollte also nicht die darauf fußende Entscheidung öffentlich sein? Die Argumentation von Patrick Breyer teile ich hierzu weitgehend. Berechtigtes Interesse ist, daß die Öffentlichkeit die Gerichte kontrolliert, sonst braucht es nichts.
Was die Öffentlichkeit aus Urteilen macht, ist eine andere Frage, aber sie kann doch nicht ernsthaft dazu dienen, ihr den Zugang zu in ihrem Namen gefällten Urteilen zu verwehren.
Es gibt Fälle, in denen seit Jahrzehnten schreiender Blödsinn über Urteile verbreitet wird, die öffentlich zugänglich sind. Ein Beispiel sind die "Reichsbürger" mit ihrer Bezugnahme auf ein Urteil des BVerfG, wonach die Bundesrepublik nicht Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs sei. Sie lassen halt den zweiten Teil des Satzes weg, in dem steht, daß die Bundesrepublik deswegen nicht Rechtsnachfolgerin ist, weil sie mit dem Deutschen Reich teilidentisch ist. Der Rechtsstaat hat das bislang aushalten können, und niemand käme wohl ernsthaft auf die Idee, nun die BVerfG-Entscheidung aus der Öffentlichkeit verschwinden lassen zu wollen, nur weil Spinner und Kriminelle sie mißbrauchen.
Diese Grundsätze gelten nur eingeschränkt für Zivil- und Verwaltungsverfahren, das ist richtig - aber darum geht es hier nicht, sondern es geht hier um Urteile in Strafverfahren, und hier kann die besonders wichtige Kontrolle durch die Öffentlichkeit nur ausgeübt werden, wenn sie veröffentlicht werden. Angesichts der Tatsache, daß der BGH sonst selbst solche Beschlüsse veröffentlicht, durch die ohne weitere Begründung z.B. eine Revision als offensichtlich unbegründet verworfen wird, stößt diese hier abgelehnte Veröffentlichung schon besonders auf und legt nahe, daß sachfremde Erwägungen dafür ausschlaggebend waren.
Update: Wer sich selbst ein Bild machen will, was in so einem Urteil drin steht, kann sich hier ein Bild machen.