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Diese mutmassliche interne Vorgabe der ARD habe ich ohne größere Überraschung gelesen, hatte ich doch zuletzt häufiger den Eindruck, eine Mehrheit der Medien mit breitem Einflussbereich folgten dieser Linie. Du hattest Anfang Dezember selbst auf eine Debatte verlinkt, im Zusammenhang mit der Berichterstattung im Fall Freiburg, die den Chefredakteur der Tagesschau dazu nötigte, das Schweigen in den ersten Tagen zu erklären.Im Kern dieser Diskussion sollte meines Erachtens die Auslegung von Richtlinie 12.1 des Pressekodex stehen.
Dieser wird herausgegeben durch den deutschen Presserat und ist eine Selbstverpflichtung, der sich die "Mehrzahl der deutschen Verlagshäuser" unterworfen haben.:"In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte."Wann aber besteht denn nun ein "begründbarer Sachbezug"? Und zeigt die Erfahrung nicht, dass die Erwähnung grundsätzlich ausgenutzt wird, um eben "Vorurteile gegenüber Minderheiten" zu schüren?
Sollte die Richtlinie nicht daher besser besonders streng ausgelegt werden und nur bei ursächlicher Bedeutung die Herkunft erwähnt werden? Das wäre dann wohl kaum einmal bei Vergewaltigung oder Mord der Fall - die ist nämlich auch in den Herkunftsländern i.d.R. strafbewehrt und daher wohl kaum ursächlich für die Tat.
Das würde gem. dem Prinzip der Gleichbehandlung dann wohl auch Hooligans und Faschisten einschliessen, aber als Ansatzpunkt für die Recherche blieben ja immer noch z.B. die Polizeistatistik und rechtskräftige Verurteilungen.
Dann kann der Tagesschau-Chefredakteur bei 296 registrierten Morden in 2015 immer noch überlegen, ob er beinahe jeden Tag einen Mord berichten will - der hätte dann aber wahrscheinlich nur sehr selten mit Flüchtlingen zu tun…
Update: Ein anderer Einsender erwidert:
der Einsender, der sich auf den Pressekodex, Ziffer 12.1 bezieht, hat zwar aus rein ethischer Sicht meiner Meinung nach Recht, formal aber nicht, denn der Pressekodex gilt für die Presse, nicht für den Rundfunk. Für den andere Gremien und Institutionen zuständig, z.B. bei der ARD der Fernsehrat. Es gibt zwar auch im Rundfunk Redaktionen, die sich grob am Pressekodex orientieren auch bei der ARD), aber eigentlich hat er halt keine Bedeutung für die. Der Presserat ist nur zuständig für Presseorgane der Verlage, die im BDZV und im VDZ organisiert sind oder die auch ohne das eine Selbstverpflichtung zur Einhaltung des Pressekodex unterschrieben haben. Insgesamt ist das der weit überwiegende Teil der Presse, und auch einige unabhängige Medien und Blogs haben sich verpflichtet.
Generell ist die angesprochene Ziffer 12.1 sehr umstritten, speziell seit Pegida, AfD und Co. verstärkt „Lügenpresse“ rufen. Viele Print- und Online-Redaktionen der Presse haben nämlich ebenfalls wenig Lust, sich mit diesem Spektrum ihrer Leserschaft um die Frage zu kloppen, wie man über z.B. Kriminalität zu berichten hat und ob man eine Nationalität erwähnen soll oder nicht. Jedenfalls gibt es da aber auch häufig Anweisungen der Chefredaktionen oder Ressortleiter, wie mit so etwas umzugehen ist, da ist die ARD keine Ausnahme.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass das auch damit zu tun hat, dass die Presse natürlich Klicks braucht und dafür auf diesen Teil der Leserschaft nicht verzichten will. Insbesondere die jüngere Generation der Online-Redakteure ist außerdem schon sehr darauf getrimmt, zuerst an SEO und Klicks zu denken und erst an zweiter Stelle an ethische und journalistische Grundsätze.
Zur Frage, wann im Sinne von Richtlinie 12.1 eine Erwähnung der Nationalität Sachbezug hat: Wenn jemand z.B. ein Auto klaut oder einen einfachen Taschendiebstahl begeht oder so etwas, ist das erstmal für die Tat unerheblich, welcher Nationalität er ist. Dann soll das auch nicht erwähnt werden. Wenn so ein Auto- oder Taschendiebstahl aber z.B. Bezug zu, sagen wir mal, Diebesbanden aus dem Ausland hat, ist ein Sachbezug vorhanden. Bei Körperverletzung ist das ähnlich schwierig. Kloppen sich, wie die Polizei es gerne nennt, ein paar „Südländer“, dann ist das für den Akt der Körperverletzung erstmal egal, wo die herkommen (oder ob die überhaupt „Südländer“ sind). Kloppen sich hingegen z.B. eine Gruppe mit türkischen Wutzeln und eine mit kurdischen, weil sie sich über die politische Situation zwischen Kurden und Türkei streiten, dann hat das Sachbezug und sollte erwähnt werden. Die rechte Ecke der Gesellschaft findet natürlich, dass bei Ausländern die Nationalität immer Bezug zur Tat hat, weil die ja grundsätzlich kriminell sind.
In der Praxis lassen sich viele Redaktionen die Arbeit von den Polizeipressestellen abnehmen. Wenn die in ihren Meldungen eine Nationalität erwähnen, wird das von Redakteuren oft einfach übernommen. Die meisten Pressestellen sind aber in Sachen Pressekodex nicht geschult, wägen das also gar nicht selbst ab.