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Eine für mich gerade interessante Frage ist, ob Konstruktivismus die Existenz einer objektiven Realität in Abrede stellt oder nur sagt, dass wir die eh nicht wahrnehmen können und sie daher irrelevant ist. Das ist mir immer noch nicht ganz klar.
Ich finde ja, es sollte mal jemand einen Podcast machen, in dem die Grundlagen erklärt werden. Ich stelle mir das so vor: Man hört sich das eine Stunde lang an, und danach hat man genug verstanden, um Jargon wie "Autopoiesis", "Viabilität" und "Epistemologie" zu kennen, und um den Unterschied zwischen den Thesen von Luhmann und von Deleuze/Guattari erklären zu können.
Was mir aber gerade beim Klicken auffällt, ist dass ich einige der Ideen schon kenne. Bei HP Lovecraft gibt es zum Beispiel den berühmten Spruch:
The most merciful thing in the world, I think, is the inability of the human mind to correlate all its contents. We live on a placid island of ignorance in the midst of black seas of infinity, and it was not meant that we should voyage far.
Bei Lovecraft steht dahinter eine diffuse Fortschrittsangst. Beim Konstruktivismus steckt dahinter die Idee, dass unsere Sensorik uns schlicht kein korrektes Bild der Wahrheit messen lässt.Nun habe ich als Techie da möglicherweise einen anderen Zugang zu. Wenn mir jemand sagt, dass meine Sensorik nicht reicht, dann denke ich darüber nach, wie man trotzdem bessere Bilder kriegen kann. Früher dachte man zum Beispiel, von der Erde aus könne man die Sterne gar nicht richtig beobachten, weil die Atmosphäre das verzerrt. Nur mit einem Weltraumteleskop ginge das. Also haben wir das Hubble-Teleskop gebaut. Und dann fanden wir raus, dass man die Verzerrungen auch rausrechnen kann, und dass man mehrere Teleskope in Reihe schalten kann und aus dem gesamten Bild ein gemeinsames, genaueres Bild berechnen kann. Bei der Lithographie von integrierten Schaltkreisen in der Elektronik galt dieses Prinzip sogar in die Gegenrichtung. Man dachte lange, die Struktur-Auflösung auf Chips sei durch die Frequenz der Lichtwellen begrenzt. Dann fand man heraus, dass man da mit einem Ölbad und Ausnutzung der Lichtbrechung beim Übergang zwischen Luft und Öl feinere Strukturen machen kann.
Kurz: Wenn mir jemand sagt, meine Sensoren sind nicht gut genug, dann ist das für mich ein Ansporn, bessere Sensorik herbeizutricksen. Für Geisteswissenschaftler scheint es hingegen eher als Freifahrkarte zu wirken, es gar nicht erst zu versuchen. Geht eh nicht, also ist es Zeitverschwendung.
Ich frage mich jetzt, ob das möglicherweise kein Zufall ist, und wenn ja, in welche Richtung das kein Zufall ist. Wirken sozialkonstruktivistische Grundlagen auf mich wie die Prämisse von einem Horrorroman, weil ich die Ideen so furchtbar finde? Oder hat der Sozialkonstruktivismus am Ende tatsächlich eine ähnliche Prämisse wie Lovecraft-Horrorromane, weil möglicherweise gar eine ähnliche Angst vor dem Fortschritt vorliegt?
Und wenn ja, liegt wirklich Angst vor dem Fortschritt vor, oder eher Angst davor, selber beim Fortschritt nicht mitzukommen? Ängste vor der eigenen Inadäquanz und Inkompetenz kennt ja jeder von sich selbst, das ist ja nichts Anrüchiges. Könnte das wirklich so banal zu erklären sein?
Antworten habe ich auch nicht, aber ich dachte mir, ich blogge meine Gedanken mal trotzdem. :-)