Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Ich hatte in meinem Schulunterricht einen prägenden Moment, als der Kunstlehrer vorne den Einsamen Baum an die Wand projizierte und uns auftrug, das mal nachzumalen zu versuchen. Das Bild sah eigentlich ganz einfach aus und wir sind alle optimistisch gestartet und haben dann gemerkt, was da alles für Details drinstecken, die man richtig hinkriegen muss, und sind alle gescheitert.
Oh gucke mal, da ist ja eine Schafherde! Und das ist gar nicht bloß ein dicker Baumstamm sondern da lehnt ein Schäfer gegen! Auch die Farben wirkten einfach aber waren es nicht. Wie gesagt, eine prägende Erfahrung.
Als ich also hörte, dass es diese Ausstellung gibt, habe ich sofort Tickets zu klicken versucht. Online gibt es da eine Kauf-Seite, aber die waren immer alle weg. Tagestickets gab es überhaupt nie, und Zeitslot-Tickets immer nur zu unopportunen Zeiten.
Die Ausstellung lief seit Mitte April bis übermorgen. Heute bekam ich also Torschlusspanik und dachte mir, ich geh einfach mal ohne Ticket hin. Es gibt da ja eine Tageskasse, steht auch extra auf der Ticketkaufseite. Wir kamen um 11 an. Die Schlange wickelte sich einmal um den Platz davor. Egal. Jetzt sind wir schon hier. Wie lange kann es dauern. Ne Stunde?
Heute war seit langem der erste Tag, an dem es nicht brütend heiß und auch nicht turboschwül oder regnerisch war. Wenn ich da ne Stunde stehen muss, dann steh ich da halt ne Stunde.
Nach einer Stunde waren wir ungefähr 1/3 der Schlange vorgerückt. Na gut, dann halt zwei Stunden oder drei.
Am Ende waren es über sechs. Je näher wir dem Eingang kamen, desto langsamer ging es voran.
In meinem Kopf formulierte ich schonmal einen Blog-Rant vor, was das für eine Zumutung ist. Das ist die fucking Nationalgalerie, nicht irgendein Hinterhof-Etablissement! Das kann ja wohl nicht wahr sein, dass die Nationalgalerie es nicht schafft, ein paar populäre Bilder in vier Monaten allen zu zeigen, die sie sehen möchten!1!!
Ich fand, dass das Fall von veritablem Staatsversagen ist! Dass der Berliner Senat verkackt, das kennen wir ja nun hinlänglich. Aber das hier ist nicht die Berliner Staatsgalerie, das ist die Nationalgalerie!1!! Die hat genau eine Aufgabe: Die Bundesrepublik Deutschland gut zu repräsentieren und Menschen Kunst zu zeigen.
Wir googelten dann in der Schlange, dass die ungefähr tausend Besucher pro Tag haben. Das erscheint mir unangemessen wenig. Aber das ist der Durchschnitt über das Jahr, da werden auch weniger populäre Ausstellungen bei sein. Aber selbst das Doppelte erscheint mir noch zu wenig für eine Nationalgalerie.
Und dann kam ich endlich dran. Stellt euch mal vor, was ihr für eine Laune hättet, wenn ihr sechs Stunden ohne Getränk oder Essen Schlange steht. Und dann kommt so ein Typ und erklärt dir, du musst den Pulli an der Garderobe abgeben, den du an den Ärmeln um den Bauch gebunden hast. Egal, die Garderobe war kostenlos. Haben wir halt gemacht.
Tja, und dann passierte ein Wunder. Aus der Geschichte über das Versagen des Staates in Form der Nationalgalerie wurde plötzlich eine Geschichte über die transzendentalen Fähigkeiten von Kunst. Denn als ich diese wunderschönen Bilder sah, taten mir zwar vom vielen Stehen die Füße weg, aber es war egal. Der Ärger war weggewischt. Ich guckte mir die Bilder an, und sie waren wunderschön.
Überlegt euch mal, wie das beim Fußball gelaufen wäre! Die Ultras hätten die Innenstadt zerlegt!
Nicht so bei den Kunst-Ultras. Die gehen dann rein und lassen sich von der Kunst in höhere Sphären heben.
Mir tun jetzt immer noch die Füße weh, aber ich habe ihnen die sechs Stunden verziehen.
Nachdem drinnen alle Nase lang irgendein Alarm losging und sofort von dem Personal weggeklickt wurde, vermute ich, dass das ein CO2- oder Temperatur-Alarm war. Mehr Leute hätte man in das Gebäude schlicht nicht hereinlassen dürfen, ohne die Kunstwerke zu schädigen. Ich habe jedenfalls geschwitzt wie ein Tier, dabei war ich in kurzen Hosen und T-Shirt. Viele Leute (aber nicht so viele, dass man die Bilder nicht von Nahem sehen konnte!) erzeugen halt viel Hitze.
Zusammenfassung: Kunst ist geil. Guckt mehr Kunst.
An der Stelle übrigens ein dickes Lob für die Nationalgalerie, die ich oben verlinkt hatte. Die haben das in ordentlicher Auflösung abfotografiert und unter Creative Commons ins Netz gestellt. So muss das sein.