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Ich arbeite regelmäßig auf Intensivstationen in Norddeutschland. Der Regelbetrieb sieht wie folgt aus: Man ist quasi durchgehend 100% ausgelastet.Ich finde nicht, dass wir uns hier in Begriffsstreitigkeiten über das Wort Triage verlieren sollten. Wenn du jemanden aufnimmst, obwohl du das Personal nicht hast, dann leidet für alle das Niveau. Das ist auch eine Form von Triage, finde ich.Auf den meisten Intensivstationen ist der limitierende Faktor nicht die Anzahl der Bettenplätze oder Beatmungsgeräten, sondern das Personal.
Einen Intensivpatienten adäquat zu versorgen ist enormer handwerklicher Aufwand. Da müssen Geräte für Infusionen, Medikamentengaben, Nierenersatztherapien, Beatmungsgeräte, etc. überwacht und aufgerüstet werden. Es muss auf Veränderungen, dieser immerhin allesamt kritisch kranken Patienten, reagiert werden und am Ende muss der Patient auch gepflegt werden. Dies ist im gerinegeren Maße auch auf "normalen" Stationen so. Aber auf einer Intensivstation kann der individuelle Arbeitsaufwand bis ins Absurde steigen.
Um eine gewisse Qualität zu sichern, hat man den Pflegeschlüssel eingeführt. Auf Intensivstationen darf daher z.B. im Tagdienst eine Pflegekraft maximal 2,5 Patienten, nachts 3,5 Patienten betreuen.
Mit den paar treuen Menschen, die weiterhin freiwillig in der Intensivpflege arbeiten, bekommt man in den meisten Krankenhäusern daher gar nicht alle Intensivbetten betreut (Hab das die Tage ewtwas von 75% gelesen). Das Resultat sind sie sogenannt "gesperrten" Betten. Diese stehen dann formal nicht für die Patientenverdorgung zur Verfügung.
Das sind voll ausgestattete, funktionable Intensivbetten, wo lediglich die Person fehlt, welche pflegerisch die Geräte bedienen kann. Ist wie ein LKW ohne Fahrer. Das steht da alles, bewegt sich aber nichts. Bringt niemanden irgendwas.
Nun kommen wir zu dem Punkt, wo ein Patient in der Notaufnahme oder auf unseren peripheren Stationen sich akut verschlechtert. Zum Beispiel der Covid19-Patient, welcher plötzlich beatmungspflichtig wird.
Denkt wirklich jemand, wir würden den ersticken lassen, wenn wir leere Intensivbetten haben, auch wenn diese "gesperrt" sind? Nein, wir verbringen den Patienten auf diese Betten und hoffen, dass das schon irgendwie noch von der Pflege toleriert wird. Ähnlich wird mit Notfällen "von draußen", also im Rettungsdienst, verfahren.
Das ist in der Akutsituation zweifelsfrei die sinnvollste und einzig menschliche Lösung. In einem funktionierensen System wird dann zeitnah der Überschuss an Patienten abverlegt und nach Möglichkeit Patienten in andere Klinik umgeleitet. Aber aktuell hat quasi keine Klinik mehr Kapazität, sprich Überlastung wird quasi zum flächendeckenden Dauerzustand für die Pflege.
Es werden keine Pausen mehr gemacht, Schichten werden Akkordarbeit, es passieren Fehler, Arbeit kann nicht mehr mit der notwendigen Sorgfalt erledigt werden, freie Wochenenden entfallen, man wird krank, es müssen Doppelschichten geschoben werden, man ist grundlegend erschöpft.
So haben wir viel Intensivpflege schlicht in der Krise endgültig aufgeraucht und damit das mit Abstand wertvollste Gut der Intensivmedizin noch weiter verknappt. Jede aus dem Beruf austeigende Pflegekraft ist salopp ausgedrückt ein Intensivbett weniger. Es mangelt halt nicht an Betten oder Beatmunsggeräten sondern am Personal!
Also zusammenfassend daher meine These:
Wir haben in Deutschland bisher (!!!) keine ernstzunehmende Triage. Wir puffern die Differenz zwischen Patienten und Betten mit Überlastung des Pflegesersonals, welches wirklich above and beyond geht, damit wir keine Triage bekommen. Aber wir erreichen langsam unsere Pufferkapazitäten.Eine weiche Triage existiert allerdings. Das ist die ärztliche Entscheidung, wann ein Patient intensivmedizinisch betreut wird und wann eine Eskalation der Therapie nicht mehr medizinisch sinnvoll ist. Das an dieser Stelle zum Wohle des Patienten zu wahrende Augenmaß ist sicherlich auch von der zum Zeitpunkt vorherrschenden Situation gefärbt.
Das ärztliche Personal ist natürlich auch maßlos überarbeitet, aber wir Klinikärzte sind traditionell Masochisten. Sonst würden wir einen anderen Job machen.