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Ich verfolge immer fasziniert, wie Worte verbrannt werden. Zum Beispiel "frisch". Das war mal was gutes. Dann fingen die Werbe-Kokser an, das für alles zu benutzen. Plötzlich waren Ideen frisch.
Oder unverbraucht. Auch so ein verbranntes Wort.
Im Moment verbrennt die Politik der Reihe nach Wörter, die eigentlich mal positiv belegt waren.
Was ist eurer Meinung nach am verbranntesten?
Ich persönlich halte die alle auf die eine oder andere Art für verbrannt. Am meisten vermisse ich Freiheit. Das war mal was gutes. Aber wenn das heute jemand in den Mund nimmt, ist das praktisch immer von irgendwelchen Lügnern und Betrügern und die meinen eigentlich Freiheit für sich. Ich will hier Dinge tun, die anderen schaden. Das ist mein Geld, damit will ich mir ein SUV kaufen! Oder die FDP-"Freiheit": Deregulieren, damit sich jemand auf Kosten der Allgemeinheit bereichern kann. Umweltverschmutzung. Externalisierung von Kosten.
Freiheit ist heute immer nur Ich Ich Ich. Ich will die Vorteile mitnehmen! Auf den Nachteilen lass ich lieber die Allgemeinheit sitzen.
Am besten kombinieren mit "persönlicher Verantwortung", dem kleinen Bruder der "FDP-Freiheit". Ich will die Freiheit haben, Cryptocurrency-Scams verkaufen zu dürfen. Wenn jemand blöde genug ist, mir das abzukaufen, ist das ja wohl seine persönliche Verantwortung.
Ich weiß gar nicht mehr, wer eigentlich damit angefangen hat, Freiheit zu verbrennen. Waren es die Nazis, die von Freiheit reden, aber "nur für uns Arier" meinen? Oder waren es die Werbe-Kokser, die gegen Umweltschutzauflagen, Giftstoff-Grenzwerte und Dinge wie das Tabakwerbeverbot oder eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung argumentieren, dass das "persönliche Freiheiten" einschränken würde. Wenn sich die Leute vergiften wollen, wieso lassen wir sie dann nicht? Die, die laut Freiheit fordern, sind fast immer die am oberen Rand der Gesellschaft. Leute, die diese Freiheiten solange gut finden, wie es nur eine kleine Gruppe an Menschen gibt, die sie nutzen können.
Freiheit, die Krankenversicherung auszusuchen! Freiheit, in den Urlaub zu fliegen! Freiheit, zu wohnen, wo man will! Das sind alles Luxusfreiheiten, die sich nur wenige leisten können.
Gerechtigkeit ist auch ein herber Verlust. Das stand mal für etwas erstrebenswertes. Heute haben sich so viele Leute eine Fantasiewelt zurecht gelegt, in der sie die armen unterdrückten Marginalisierten sind, und die für sich selbst "Gerechtigkeit" einfordern, dass das zu einer Art Codewort für "pass auf, gleich will dir jemand was wegnehmen" geworden ist. Kein Wunder, dass das keine Mehrheiten mehr findet.
Wenn jemand von der Linken hört, dass jemand von Freiheit erzählt, nehmen die erstmal an, das wird ein Nazi sein. Wenn jemand von der Rechten hört, dass jemand von Gerechtigkeit erzählt, nehmen die erstmal an, das wird ein Kommunist sein.
Und am Ende kriegten wir weder Freiheit noch Gerechtigkeit.
Update: Ein Einsender schlug noch "Stabilität" als verbranntes Wort vor. Seit ich denken kann ist das ein Euphemismus für "nee, wir wollen nichts verbessern. Aber glaubt uns, da ist noch Luft nach unten!"