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nachdem ja nun diverse Plagiatjäger zu Wort kamen, will ich das Thema mal ein wenig aus der "Täter"-Perspektive" beleuchten:Ich habe in den 80er-Jahren Medizin studiert, das war eine Zeit in der es deutlich mehr Studienabsolventen als vernünftige (Facharzt-) Ausbildungsplätze für Berufsanfänger in den Krankenhäusern gab. Die angstellten Ärtze waren so gut wie gar nicht gewerkschaftlich organisiert und man konnte somit mit ihnen machen, was man wollte: Gängelung durch dissoziale Chefs, unzählige unbezahlte Überstunden, erstmal ein Jahr zum halben Gehalt, "mal sehen wie Sie sich machen", sowas war überall an der Tagesordnung.
Gleichzeitig war klar, daß mit einem schlechten Examen oder eben ohne Promotion die Chance, eine halbwegs vernünftige Stelle zu finden, noch marginaler wurde. Es haben also so gut wie alle meine Kollegen zu dieser Zeit eine Doktorarbeit gemacht, und zwar auch dann, wenn in Ihrem Lebensentwurf eine wissenschaftliche Karriere überhaupt keine Rolle spielte ( nebenbei, die Schnittmenge von "guter Arzt" und "guter Wissenschaftler" ist m.E. nicht sehr groß ).
Was daraus folgte war, daß die medizinischen Fakultäten eine große Menge billiger ( d.h. kostenloser) Hilfskräfte zur Verfügung hatten. Ich selbst - und die allermeisten meiner Kollegen haben eiinfach ein, zwei Jahre einem "wirklichen" Wissenschaftler die niederen Arbeiten gemacht und die Belohnung war dann halt dieser Doktortitel. Die medizinischen Promotionen wären in den meisten anderen Fächern vielleicht gerade als Diplomarbeiten durchgegangen, jeder von uns wusste das.
Ich hatte wirklich keinerlei kriminelle Energie, aber ich bin ziemlich sicher, dass meine Arbeit dem einen oder anderen Plagiatsexperten feuchte Träume machen könnte.
(Nur der Form halber : es gab natürlich auch "richtige" medizinische Doktorarbeiten mit hohem Anspruch und Qualität, von Leuten, die eben auch Wissenschaftler werden wollten)
So und was ist nun also passiert?
In den letzen zwanzig Jahren hat sich das Verhältnis von Studienabsolventen zu Assistenzarztstellen umgekehrt. Die Chefs üben sich in Mitarbeiterförderung und gehen an die Unis um sich Absolventen anzulachen. Die Krankenhäuser werben regelrecht um medizinischen Nachwuchs. Die -mittlerweile- gewerkschaftlich besser organisierten angestellten Ärzte arbeiten zunehmend nach Tarif und werden auch so bezahlt.
Kein junger Kollege (ausserhalb der Unikliniken) muss noch promovieren und also macht es auch kaum noch einer. Trotzdem sind immer noch alle der Herr oder die Frau "Doktor". Die einen ohne Promotion, die anderen mit unsauberer Promotion und einige wenige mit lupenreiner Promotion.
Ich persönlich würde einfach vorschlagen, den Doktortitel ganz abzuschaffen. Es ist völlig klar, daß er innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde nicht mit wissenschaftlicher Reputation assoziiert wird. Das liegt nicht nur an den vielen unsauberen Arbeiten, sondern einfach auch daran, daß er in vielen Fächern vor allem Folge von Fleiß und oft auch von strategischer Unterwerfung gegenüber einflussreichen Personen ist, nicht so sehr von wissenschaftlicher Brillianz.
Seine Bedeutung liegt m.E. vor allem in der Demonstration von Wissenschaftlichkeit in außerwissenschaftlichen Kreisen. ( Politik, mediale Öffentlichkeit, Nachbarschaft) . Wer sich mit seinem Doktortitel ansprechen läßt, ist eigentlich nur ein Angeber.