Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Ich habe 1979 angefangen für Geld zu arbeiten. In den ersten 15 Jahren war Eigeninitiative noch sehr gefragt. In den 1990ern wurde dann das ganze System mit Hilfe von McKinsey gestrafft.Ansonsten kommen die üblichen Rechtfertigungen:
Seit dem ist jeder Arbeitsgang bis ins Detail fest getaktet. Selbst wenn du weißt wie man "Copy & Paste" benutzt, wirst du das niemals einem Externen gegenüber offenbaren, weil du doch nie sicher sein kannst, ob der angebliche IT Experte nicht ein U-Boot der Geschäftsführung ist.
Wer im Jahr 2017 in einer Firma noch eigene Wege geht, Eigeninitiative zeigt oder auch nur offen Selbstbewusstsein zeigt ist entweder tatsächlich unersetzlich oder hat die Altersteilzeit im Sack.
Ansonsten hat sich da anscheinend ein Teufelskreis gebildet. Das Management sieht, dass die Mitarbeiter das Tool nicht benutzen, und nimmt das dann nicht als valide Kritik auf, dass das Tool vielleicht Mist ist oder nicht hilft oder keine Zeit spart sondern eher noch Zusatzaufwand aufbürdet, sondern als "ich muss denen nur nochmal ordentlich erklären, wieso das Tool total geil ist", gepaart natürlich mit einer gesunden Familienpackung Inkompetenz, weil das Management sich den Scheiß beim Golfen hat aufschwatzen lassen.
Und wie so oft ist an allen diesen Punkten bestimmt jeweils ein Fünkchen Wahrheit dran.
Aber wie kommen wir da jetzt wieder raus?
Einige Einsender meinen auch, dass das schlicht eine Form von Prokrastination ist. Solange es nicht weh tut, weigere ich mich einfach. Und wenn es dann nie weh tut, war die Strategie erfolgreich.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Leute da draußen in einem unfassbar deprimierenden Umfeld vor sich hin vegetieren.
Ich bin ja so froh, dass ich nicht in einer Behörde oder großen Firma arbeiten muss, sage ich euch.
Oh ach ja, und die fieseste Erklärung ist natürlich, dass die Leute sich verweigern, weil sie Angst haben, selbst überflüssig zu werden, wenn die Vorgänge effizienter würden.
Und es scheint auch tatsächlich Firmen zu geben, die 100k für ein Produkt ausgeben, aber dann nicht 10k für die Schulung in die Hand nehmen wollen.
Dann gab es auch ein paar Mal die Theorie, dass da den Leuten von oben ein Tool aufgezwungen wird, zu dessen Notwendigkeit man sie nicht befragt hat. Das klingt wie eine gute Hypothese, aber ich habe das auch in Szenarien erlebt, wo die selben Leute vorher für die Anschaffung gekämpft hatten. Gut, es gibt da sicherlich auch Szenarien wie eine Firmenfusion, wo dann die IT "harmonisiert" wird. Ich habe mal von einem Fall gehört, bei dem dann sogar anderes Klopapier angeschafft wurde nach einem Firmenkauf, weil diese Marke bei uns der Firmenstandard ist. Das meinte ich jetzt aber nicht. In so Situationen der gefühlten Machtlosigkeit und des Überrumpeltwerdens kann ich Widerstand nachvollziehen. Fachlich ist es immer noch ein Schuss ins eigene Knie, aber menschlich kann ich es nachvollziehen.
Ein Einsender wurde in seiner Antwort ziemlich persönlich :-)
Hast du dir mal die Bedienungsanleitung deiner Spülmaschine durchgelesen? Die eingebaute Enthärtungsanlage geht kaputt, wenn man kein Salz nachfüllt (weil man All-In-One-Tabs nutzt) und die nicht auskonfiguriert. (Mal abgesehen davon, dass man bei hartem Wasser zusätzlich Salz nehmen muss).Und dann will ich noch exemplarisch einen typischen Winsel-Rant veröffentlichen:Hast du dir die Bedienungsanleitung von deinem Auto durchgelesen?
Oder noch besser: Die deiner Heizung?
Ich wohne in einem Neubaugebiet, ich bin gefühlt der Einzige, der sich die durchgelesen hat und weiß, was eine Heizkurve ist und wie man die optimiert (da gehen bis zu 10-20% Ersparnis). Und - macht das jemand sonst? Vergiss es.
Der Monteur stellt die auf "gut warm" ein und die gibt dann Vollgas - bis die Thermostate in den Zimmern dann die Zimmer abregeln. Die Heizung wird dann zu warm, weil sie bei Vollgas die Hitze nicht mehr los wird, schaltet ab. Bis die Thermostate dann wieder auf Durchzug schalten.
Dass man das verhindern kann, wenn man die Vorlauftemperatur auf das minimal nötige einstellt steht in der Bedienungsanleitung: Dann läuft die Heizung auch tatsächlich auf minimaler Stufe den Winter durch - täglich nur einmal unterbrochen. Optimal auch für die Lebensdauer.
Im Ernst - ich arbeite für einen Großkonzern und zwar in der Ebene ganz unten - ich treffe Entscheidungen nur für mich, muss aber mit allen Entscheidungen von weiter oben leben.Und hier noch einen als Realitätsabgleich:
Und die haben es in sich: Neues Tool Z für Task X, neuer Name für Abteilung Y, Zusammenlegung der Abteilungen A und B, Auflösung von B in C und D - such es Dir aus; das ist, was von "oberhalb meines Teamchefs" bei mir ankommt.Und ich habe keine Zeit für den Scheiß.
Vor ein paar Wochen habe ich erfahren, dass ich das extrem anstrengend zu benutzende Tool Z gar nicht mehr anzusehen brauche - angeschafft, eingeführt, angeschaut, vergessen.
Es _hätte_ ein paar Sachen verbessern können, aber es wurde offensichtlich von den Verantwortlichen nie "benutzt", nur in Verkaufsveranstaltungen gesehen. Und die Wünsche zur Verbesserung der Nutzbarkeit gingen unter, weil das Funktionalität betraf, auf die wir als Kunde keinen Einfluss haben - aber irgendwelche statistischen Auswertefunktionen gingen immer sofort.[…]
Natürlich wäre es gut, das marktführende Tool in meinem Aufgabengebiet zu kennen - mit meiner Erfahrung frage ich mich aber:
- Warum ist das der Marktführer? Sind die wirklich besser als alle anderen oder ist nur das Marketing besser und in Wirklichkeit werden die verkauften Lizenzen nicht voll ausgenutzt?
- Wurden die betroffenen Mitarbeiter in die Entscheidung einbezogen? Durften die ihre Wünsche äußern oder wurde nur von oben entschieden, dass ab heute mal wieder alles anders-gleich ist?
Nein, ich bin kein Urgestein, ich bin jung, nur wenige Jahre im Unternehmen - und ich bin bereits jetzt gegenüber allen Management-Entscheidungen oberhalb Teamlead abgestumpft, weil es nur wieder undurchdachter Mist oder eine Reorganisation mit einer Halbwertszeit unterhalb eines Finanzjahres handelt.
hatte viele Jahre in grossem Unternehmen im Telko Umfeld verbracht.Nur falls mir jemand mangels eigener Erfahrung nicht glauben wollte, dass das Phänomen existiert.
Meine Erfahrungen:Die Technik wird von Externen am Laufen gehalten. Diese verdienen halbwegs anständig und kennen sich tatsächlich aus. Intern ist die Sache anders:
- all-in Verträge, dh Überstunden werden nicht bezahlt
- Lernen und neue Ideen werden in weiten Bereichen (monetär) nicht honoriert: Dh kein Anreiz
- Beginnt man etwas in die positive Richtung umzustellen, hängt einem das lange nach --> man schafft sich selbst (unbezahlte) Arbeit, da man ja nun der einzige ist, der sich auskennt. Und man verringert intern seine Karrierechancen: Nichts hindert einem so sehr am Weiterkommen wie Spezialwissen.
- Mitarbeiter werden tlw bewusst nicht weitergebildet: Steigert ja Wert am Arbeitsmarkt und sie werdem vielleicht noch abgeworben
Was bewirkt nun dieses Umfeld:
Junge Mitarbeitern sind in den ersten Monaten mit voller Energie dabei. Mit der Zeit merken sie dann zweierlei: a) Einsatz wird gebremst b) Einsatz wird nicht wirklich honoriertZwei Wege tun sich dann auf:
a) man nimmt die Kultur an, dh Konzentration auf Arbeitsvermeidung, Hobby suchen (oft hat dann auch Famlie höhere Prio). Man ist froh, dass jemand regelmässig die Miete zahlt. Der klassische goldene Käfig.
b) man verlässt schleunigst das UnternehmenDas heisst, grosse Firmen haben die unglaubliche Fähigkeit, immer wieder Mitarbeiter mit "passender" Mentalität auszufiltern :-)
Mich ärgert an diesem Defätismus, dass das eine selbsterfüllende Prophezeiung ist. Die Manager schaffen irgendeinen Scheiß an, die User trauen ihnen nicht, ignorieren den Scheiß, und garantieren damit, dass es unnützer Scheiß ist und nicht helfen kann.
Was mich daran so fasziniert, ist dass das nirgendwo sonst so gut funktioniert. Die Gewerkschaft ruft zum Streik auf? Es gibt immer ein paar Leute, die trotzdem arbeiten gehen. Das Gesetz verbietet etwas? Es gibt immer ein paar Leute, die es trotzdem machen. Aber bei "Chef schafft neues Tool an" ist es eine absolute Ausnahme, dass mal jemand dann das Tool ernsthaft zu lernen versucht.