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Auch wenn es bei Gegendarstellungen, also richtigen :-), nicht üblich ist, drauf zu antworten, würde ich das unter /?ts=a655f9ba ungerne so für Deine Leser stehen lassen wollen, es tat mir als Juristen beim Lesen wirklich weh:Die meisten Einsendungen argumentieren auch in die Richtung, dass das eben nicht einfach ist, sich gegen Sanktionen zu wehren, oder dass es moralisch nicht OK ist, Sanktionen zu verhängen, die das Existenzminimum senken.es fängt ja schon an mit …
"ich war einmal Hartz4-Empfänger, arbeite seit mehreren Jahren bei der Arbeitsagentur als Vermittler (Habe also die Seite des Schreibtisches gewechselt) und bin treuer Leser ;)"
wo er - zutreffend - gleich darauf hinweist:
"Arbeitsamt != Jobcenter: Arbeitsamt ist für die Leute mit Anspruch auf ALGI (diejenigen die eingezahlt haben) und Jobcenter ist für ALGII (Hartz4)"
Er hat also nicht die Seite des Schreibtischs gewechselt. Er hat gleich die ganze Behörde gewechselt und bekommt es überhaupt nicht mit Hartz4-Beziehern zu tun.
Aber wirklich inhaltlich:
"Beispiel: Kunde kommt nicht zum Termin. Per Gesetz gibt das ne Sanktion. Der Kunde geht in den Widerspruch und sagt vor Gericht "die Einladung ist nicht angekommen." - Kann keiner das Gegenteil beweisen und der Kunde bekommt recht. Sanktion aufgehoben. So einfach."
So einfach. Und so falsch. Wenn der "Kunde" nicht zum Termin kommt, dann gibt es per Gesetz ein Sanktionsverfahren. Keine Sanktion. Die gibt es erst, wenn sich am Ende des Verfahrens (aus Sicht der Behörde) rausstellt, daß der Bürger ohne Grund nicht gekommen ist. "Die Einladung ist nicht angekommen" wird der Bürger dann schon in diesem Augenblick vortragen, er muß nämlich vorher angeschrieben und angehört werden. Aber das Amt wird das nicht glauben (oder doch, dann ist die Sache eben HIER zuende). Und dann kommt der Widerspruch. Auch mit der Begründung "Die Einladung ist nicht angekommen". Glaubt die Behörde bzw ihre Widerspruchsabteilung aber immer noch nicht. Ja Widerspruchsabteilung. Früher war es allgemein so üblich, daß die übergeordnete Behörde (sprich die ist unabhängiger/unbefangener und weiter weg vom Einzelfall) einen Widerspruch bearbeitet. Heute macht man das gerade im Sozialrecht einfach in derselben Behörde, nur ein Zimmer weiter.
Und DANN erst kommt das Gericht und sagt "Glaubt was ihr wollt, beweist es!". Kann das Amt nicht, und die Sanktion wird wieder aufgehoben. Das ist nicht einfach. Das ist einfach nur eine ewig lange Zeit des Bangens für den "Kunden". Und das nur weil die Behörden - der Autor gibt es ja wenigstens zu "Ja, wir wissen das viele unserer Sanktionen gekippt werden" - wissen und wollen was sie da machen.
Und mit dieser verzerrten Darstellung wird dann eine Verachtung des Rechtsstaats begründet, die eigentlich nur noch mit dem trump'schen "so-called judge" verglichen werden kann:
"Ja, wir wissen das viele unserer Sanktionen gekippt werden. Das ändert nichts daran das sie in dem Moment richtig/vertretbar waren. Es ist so, dass vor Gericht immer im Zweifel für den Leistungsempfänger entschieden wird und das ist auch gut so. Das bedeutet aber nicht, dass die Sanktion nicht gerechtfertigt wäre."
Wenn das Gericht - das bei weitem nicht per se pro Leistungsempfänger eingestellt ist - feststellt, daß die Sanktion rechtswidrig war, dann war sie das natürlich auch "in dem Moment". Nur weil - wie in dem Beispiel - das Amt erstmal dem Bürger nicht glaubt, war die Sanktion "in dem Moment" nicht gerechtfertigt. Und jemand der weiß, daß er eine behördliche Behauptung "Einladung haben Sie bekommen!" nicht wird beweisen können und trotzdem darauf eine Sanktion aufbaut, der macht sich sogar persönlich angreifbar. Wenn ein Staatsanwalt sowas machen würde, dann wäre das Verfolgung Unschuldiger.
"Das trotzdem soviele Sanktionen verhängt werden MÜSSEN, liegt nicht an den Mitarbeitern sondern am Gesetz. Ich war selber Hartz4-Empfänger und bin meinen Kunden gegenüber sehr empathisch, aber die Regeln sind nicht so streng das man sich nicht dran halten könnte… "
Es liegt also dieser Meinung nach am Gesetz, am selben Gesetz, nach dem die Richter reihenweise die Sanktionen wieder aufheben.
Ehrlich gesagt ist das auch für mich der zentrale Punkt, wieso ich da nicht gewillt bin, mir Ausflüchte anzuhören. Das heißt ja nicht ohne Grund Existenzminimum. Wenn man das senkt, dann ist derjenige unter dem Minimum für die Existenz. Wer so ein System gutheißt oder sich so einem System gemein macht, der hat in meinen Augen schon mal direkt verloren.
Mich fasziniert an solchen Gegendarstellungen vor allem, wie sich Leute, die Böses tun, ihr böses Tun schönreden. Das strahlt auf mich eine morbide Faszination aus.