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Ich habe das jetzt absichtlich neutral geschrieben. Und mir fällt auf, dass das genau das selbe ist, was die Linken sagen. Auch die Linken sind überzeugt davon, dass sie in der Minderheit sind und der Mainstream von den Rechten dominiert wird, dass Staat und Medien sich gegen sie verschworen haben und mit unlauteren Methoden agieren, und auch die Linken sind für Meinungsfreiheit und gegen Zensur. Sie meinen nur was anderes mit diesen Begriffen. Aber so gesehen meinen ja auch die Rechten was anderes mit den Worten. Wirklich für Meinungsfreiheit und gegen Zensur ist ja so gut wie niemand. Irgendwo zieht doch jeder eine Grenze.
Die Linken fordern Meinungs- und Zensurfreiheit für sich, aber finden, Nazi-Gedankengut muss bekämpft werden. Die Rechten fordern Meinungs- und Zensurfreiheit für sich, aber finden, kommunistisches Gedankengut muss bekämpft werden.
Und wenn sie an die Macht kommen, sind sowohl die Linken als auch die Rechten im historischen Vergleich Freunde und Betreiber eines Zensur- und Überwachungsstaates.
Vielleicht sollte man an der Stelle mal klären, wer eigentlich dieser Mainstream ist, mit dem sich Links und Rechts in Opposition wähnen. Der Neoliberalismus? Die Konzern-Herrschaft?
Ich finde auch spannend, dass ja auf gewisse Weise beide Seiten Recht haben. Sie sehen halt jeweils die Aspekte, bei denen ihre Ideologie Teil des Mainstreams geworden ist, nicht als Errungenschaft oder Guthaben sondern als selbstverständlich und ihnen zustehendes Geburtsrecht an, aber übergewichten die Aspekte, in denen die Ideologie des Gegners Einzug in den Mainstream erhalten hat.
Wenn Frau Merkel zum Beispiel ihre humanistische Ader entdeckt und Flüchtlinge ins Land lässt, dann wertet die Rechte das als Katastrophe und sich gegen sie wendender Mainstream. Aber die Linke wertet das nicht als Gewinn sondern als "das war ja wohl klar, dass man die reinlassen muss". Wenn Frau Merkel dann umdreht und keine Flüchtlinge mehr reinlassen will, dann werten das die Linken als Katastrophe und sich gegen sie wendender Mainstream. Aber die Rechten wertet das nicht als Gewinn sondern als "das war ja wohl klar, dass man nicht noch mehr reinlassen kann".
Ein faszinierendes Konundrum.
Insbesondere scheint für die Aufrechterhaltung eines radikalen Weltbildes unerlässlich zu sein, dass man sich als verfolgte Minderheit sieht. Das scheint einer der größten Faktoren zu sein, mit denen man sich eigene Handlungen und Positionen schönreden kann.
Also. Liebe Linke und liebe Rechte. Ihr seid beide nicht verfolgt in diesem Staat. Jedenfalls nicht verfolgter als die andere Seite. Niemand wird hier in irgendwelche Lager oder Geheimknäste verschoben, niemandem wird sein Hab und Gut konfisziert — im Gegenteil kriegen viele von euch noch Stütze von dem Staat, den sie politisch bekämpfen.
Wir haben hier natürlich freidrehende Geheimdienste, die die rechten finanzieren und die linken überwachen, das ist schon ein Moment der Ungerechtigkeit an der Stelle.