Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Nach außen tue ich immer ganz normal, aber eigentlich bin ich ein komischer Typ. Diese Komizität äußert sich auf viele Weisen, aber sie hat einen heimlichen Kristallisationspunkt: meine Ambivalenz, mein Verständnis unterschiedlicher Seiten, mein einerseits/andererseits. Ich kann immer soviele Leute irgendwie verstehen. Die schmerzhafteste Einsicht im Prozess meines Erwachsenwerdens zwischen 27 und 39 Jahren war, dass die Welt noch sehr, sehr viel komplizierter ist, als ich bis dahin unter dem Begriff „kompliziert“ verstanden habe. Vereinfachung enthält deshalb auch immer Subjektivität und strukturelle Ungerechtigkeit. Einerseits. Aber andererseits ist diese Vereinfachung zugleich ein Instrument, das ich selbst benutze und von dem ich stark profitiere. Denn Vereinfachung ist ein fast zwingender Bestandteil der Medienwelt. Ein idealer Satz in einer Talkshow ist wie ein idealer Tweet: simpel, kurz, pointiert. Verdichtung erzeugt Reichweite, und mein Job in dieser Medienwelt der Vereinfachung ist „Experte für Internet plus X“. Könnte man auch mal drüber streiten, aber nicht jetzt und hier.Ein Gastbeitrag von Sascha Lobo.Die selbstreferentiellen Eingangsworte sind notwendig, weil ich zum zehnten Geburtstag von Fefe einen Text schreiben möchte, der nicht nur mir selbst, sondern auch ihm gerecht wird. Dazu wird zwingend eine Selbstverortung benötigt. Schaut man sich nämlich die bisherigen Gratulanten an, üben sie sich fast ausnahmslos im Fach Selbstähnlichkeit. Der Verschwörungsaffine lobt die Verschwörungsaffinität. Netzpolitik.org wünscht sich, dass Fefe Netzpolitik.org werden soll, mit Fact Checking und Redaktion und Crowdfinanzierung. Und der Piratenchef tut so, als würde er sich über die viele Kritik ganz dolle freuen, was ja auch in der Partei sein Hauptjob ist. Naja. Man kann der subjektiven Betrachtung kaum entfliehen, man kann sie sich nur bewusst machen.
Zugleich ist wichtig zu verstehen: Meine Funktion in der Öffentlichkeit verläuft trotz einiger unterschiedlicher Haltungen in Teilen parallel zu der von Fefe. Deshalb ist die Kritik, die ich an Fefe äußere, oft auch Kritik, die man stärker oder schwächer an mir üben könnte. Und so folgt hier meine offensiv ambivalente Würdigung von Fefe. Oder vielmehr der beiden Fefes, die ich von meinem Sowohl-Als-Auch-Standpunkt aus sehe. Ins mittelschwer Bizarre driftet diese Absicht jedoch – weil ich eigentlich beide Fefes nicht lesen kann, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Fefe, der Notwendige
Ich kann Fefe nicht regelmäßig lesen, weil ich trotz allem Optimist bin und bleiben will. Aber ich bin auch so empfindsam wie ein neugeborenes, dreibeiniges, blindes Flauschekätzlein. Schon fünf Minuten Fefe lesen und Links nachverfolgen bringen mich zur Verzweiflung über die Welt. Und zwar auch dann, wenn ich die schwierigen, unklaren und eventuell falschen Teile abziehe. Trotzdem setze ich mich der Verzweiflung ab und zu aus: Ich benutze Fefe als eine Art Medikament, wenn die Verlockung, doch wieder Frieden mit der defekten Welt zu machen, zu groß wird. Zwei, drei pointierte Bemerkungen über die zutiefst verstörende Behördenkatastrophe rund um die NSU, die völlig zufällig kurz vor der Aussage verstorbenen Zeugen – und mir ist übel für drei Wochen. Es ist die Übelkeit, die als Antrieb funktioniert, gegen etwas zu kämpfen, was falsch ist. Und der Weg in die digitale Gesellschaft ist auf viele Arten katastrophal falsch. Fefes Erfolg liegt in der Vereinfachung der Sachverhalte und der Selbstbestätigung für eine bestimmte Gruppe, und manchmal braucht man Vereinfachung und Selbstbestätigung dringender als Differenzierung und Ambivalenz, damit man sich selbst nicht alles schönschmirgelt mit dem ständig relativierenden Einerseits/Andererseits. Schlimmer noch: Mit Snowden habe ich persönlich eine Bestätigung bekommen, dass das, was ich mir nicht vorstellen konnte oder wollte und Fefe seit vielen Jahren transportiert – doch wahr war. Ein blinder Fleck in meiner Realitätseinschätzung, von katastrophal großen Ausmaßen. Daraus möchte ich lernen. Für mich ist Fefe wichtig als stechende Rückversicherung, mich nicht zu bequem einzurichten in meiner Position. Dafür bin ihm zu Dank verpflichtet, als mit einem Klick aufrufbaren, schmerzhaften, aber notwendigen Stachel im Fleisch.
Fefe, der Problematische
Ich kann Fefe nicht regelmäßig lesen, weil mir übergroße Selbstgewissheit zuwider ist. Anders als offenbar viele Leser ziehe ich keinen Nektar aus der wiederholten Bestätigung „Ich habe es ja schon immer geahnt/gewusst/gesagt“. Dieses Muster zieht sich jedoch durch, selbst die durchaus vorhandene Selbstkritik erscheint mir als Teil davon – weil sie nur aufgeschrieben wird, aber keine für mich erkennbaren Konsequenzen hat. Dadurch wird Selbstkritik vom Instrument zur Pose, ich weiß das sehr genau, denn bin selbst auch schon oft in diese Falle getappt.
Zweieinhalbmal habe ich Fefe live getroffen und länger mit ihm gesprochen (einmal ist als Podcast dokumentiert). Das reicht nicht, um ihn näher kennenzulernen. Aber es reicht, um zu ahnen, dass diese Eindimensionalität ein mediales Rezept ist. Die Kritikfähigkeit und Vielschichtigkeit der Person dahinter erscheint mir deutlich größer, als das Blog vermuten lässt. Leider blitzt das noch zu selten auf.
Meine Vermutung für den Grund wäre, dass Fefe als gefühlter Einzelkämpfer begann, der allein gegen die schlimme Welt anschreiben musste, und der deshalb Unterstützerscharen andocken wollte. Truppen sammeln. Das macht man mit Bestätigung der Sorte „Wir, ihr und ich, haben alle total recht und sind auf dem allerrichtigsten Pfad“. Das ist legitim. Ab einer gewissen Wirkmacht aber sollte dieser Pfad verlassen werden (sonst erstarrt man zur ritualisierten Selbstgerechtigkeit). Mir scheint, als sei das Fefe noch nicht ganz gelungen. Vereinfachung und damit Zuspitzung ist in der Kommunikation oft essentiell und hochwirksam, aber als Hauptzutat zu einem Weltbild schlecht. Wenn Fefe es aufgrund der Reaktionen auf seine Anfragen für notwendig hält, seinen „gruseligen“ Fefe-Mob zur Ordnung zu rufen – allein schon, dass es so etwas gibt wie einen Fefe-Mob! – weist das auf zweierlei hin: Dass mein Eindruck von Fefes persönlicher Vielschichtigkeit und Kritikfähigkeit nicht ganz falsch ist. Das ist gut. Aber dass zugleich ein Teil des Publikums die mediale Vereinfachung nicht durchschaut und sein Weltbild vollständig auf der Fefe-Interpretation aufbaut. Und zwar samt des gewollt inszenierten, anmaßenden, aggressiven, destruktiven Tons. Das ist schlecht. Und eine gewisse, fefeseitige Verantwortung dafür ist schwer zu leugnen.
Fefe, was nun?
Differenzierung ist unglaublich anstrengend, ernüchternd, zehrend. Und sie widerspricht dem bisherigen Erfolgsrezept dieses Blogs. Aber sie erscheint mir als nächster Schritt sinnvoll, schon um diejenigen Leute abzuschütteln, die alles Schlechte an Fefes Blog verkörpern und diejenigen zu bestärken, die das Gute an diesem Blog sind und noch stärker sein könnten.
Dass dieser Schritt notwendig ist und darüber entscheiden wird, ob Fefes Wirkung unter den deutschsprachigen Nerds zukünftig als eher positiv oder eher negativ zusammengefasst werden kann, lässt sich – überraschend – auch an Snowdens Enthüllungen ablesen. Präziser: an einem blinden Fleck der Nerdwelt, die Fefe adressiert. Denn die Grundhaltung dieser Community ist, dass soziale Probleme mit der richtigen Technologie gelöst werden könnten. Und das entspricht der Herangehensweise an die Welt, die zur radikalen Überwachung geführt hat: die Überzeugung, alle Probleme durch Datenauswertung in den Griff kriegen.
Ein großer Teil der Politik, rechts wie links übrigens, ahnt nicht einmal, dass er bestürzend oberflächlich einer extremen Technologiegläubigkeit folgt. Weil ihnen Behörden und Überwachungskonzerne versprochen haben, dass sie mit viel Geld für die richtigen Technologien alle gesellschaftlichen Probleme (Terrorismus, Drogen, kaputte Straßen) schon in den Griff kriegen. Das soll explizit nicht heißen, dass „die Nerds“ an „der Überwachung“ schuld sind – es heißt aber, dass die Welthaltung, die mit in das gegenwärtige Dilemma geführt hat (Technologiegläubigkeit), uns sehr wahrscheinlich nicht wieder herausführt.
Die Zukunft dieses Blogs sollte aus meiner Perspektive also weniger „Preaching to the Converted“, Verächtlichkeit und Vereinfachung sein – und dafür mehr Differenzierung, Toleranz und echte Selbstkritik, die auch Folgen hat. Dann steht zweifellos ein goldenes Zeitalter bevor, denn der notwendige und beglückenderweise vorhandene Layer der Unterhaltsamkeit – der muss natürlich bleiben.
(Anm.d.Red.: Der angesprochene gemeinsame Podcast ist Alternativlos 33)