Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Ich hatte mich im Vorfeld ein bisschen gewundert, dass die überhaupt die NSA die Keynote machen lassen. Die NSA ist ja zumindest international gerade ziemlich der Buhmann. Da hätte es sicherlich unkontroversere Kandidaten gegeben.
Man könnte auch vermuten, dass die die NSA da reden lassen, um Kontroverse und damit Presseinteresse für ihre Veranstaltung zu generieren. Aber das war es nicht, denn sie haben keine Zuschauerfragen zugelassen. Das wäre wohl auch ziemlich nach hinten losgegangen. Ich für meinen Teil hätte da jedenfalls gerne eine Frage gestellt.
Ich hatte mir da als Kandidaten überlegt:
Wenn er öffentlich angesagt hätte, dass das schon OK ist, wenn die Briten seine Mail lesen, das wäre echt ein Höhepunkt gewesen.
Ich teile da die Einschätzung der US-Journalisten, mit denen ich mich unterhalten habe, die meinten, das hätte die NSA wohl nach den Snowden-Leaks am liebsten abgesagt, aber das hätte noch schlechter ausgesehen. Und so haben sie gute Miene zum schlechten Spiel gemacht und es mit Vorwärtsverteidigung versucht. Das ging allerdings ziemlich nach hinten los. Es gab das übliche Programm, was ich mal als die US-Version der Ziercke-Tournee bezeichnen will. Internetzensur begründet man mit Kinderpornographie, Abschnorcheln begründet man mit den Terroristen. Und so war jedes zweite Wort "Terrorist" in der Keynote. Die seien halt unter uns und da müsse ja jemand was tun. Ob er sich als Befehlsempfänger sieht oder als Akteur kam nicht wirklich rüber, weil er jedes Indiz auszuräumen versuchte, dass das in irgendeiner Art und Weise moralisch verwerflich sei, was die NSA da tut. Alles total harmlos! Wir haben da nur ein paar Telefonnummern und verknüpfen die, und damit geben wir dann wertvolle Hinweise an das FBI, und die laufen dann mit National Security Letters los, finden die Namen der Verdächtigen, haben dank unserer Daten "probable cause" und schicken dann einen Richter los. Man könnte es fast zusammenfassen als: Wenn hier einer zu viel Macht hat, dann das FBI!1!!
Das fiel ihm wohl auch selber auf, daher schloss sich eine Hollywood-mäßige Lobeshymne an. Das FBI sei eine großartige Behörde, und ihr Leiter Robert Mueller, das ist ja der tollste Mann, den er je kennengelernt hat. Das war echt wie eines dieser schmierigen Making-Of-Trailer aus Hollywood. Es sei ein Privileg und eine Ehre, mit allen diesen tollen Menschen zusammenzuarbeiten. Alle Mitarbeiter seien selbstlose, ehrenwerte Menschen, die Amerika zu einem besseren Ort machen wollen!
Oh und er habe ja gehört, dass die FISA Courts Rubber Stamps verteilen, d.h. alles einfach durchwinken. Nichts könnte ferner von der Wahrheit sein! Das sind alles knochenharte Karrierejuristen, die lassen sich von niemandem über den Tisch ziehen! Selbst er als Vier-Sterne-General habe sich da schon Rüffel abholen müssen!1!!
Ihr seht schon, das war Hollywood pur. Eine PR-Veranstaltung vom Feinsten. Bis dann, nach ca einer halben Stunde, von hinten eine einzelne Stimme "BULLSHIT!" brüllte. Andy Greenberg von Forbes hat den Typen ausfindig gemacht. Das war echt Popcorn-Kino, weil der NSA-Chef da schon drauf antworten wollte, aber nicht Bullshit sagen wollte. Er sei ja 14facher Großvater und müsse auf seinen Duktus achten. Greenberg hat den ganzen Dialog aus seiner Aufnahme transkribiert.
Zu meiner Überraschung kriegte der Herr General dann sogar noch zwei kurze Runden Applaus für seine Patrioten-Hollywood-Tränendrüsen-Aussagen, und konnte sogar öffentlich dazu aufrufen, die Hacker seien doch die Leute, die das alles verstehen, und wir sollten ihnen doch mal helfen, der Welt da draußen zu erklären, dass die NSA voll die Guten sind. Und im Übrigen sollen wir mithelfen. Gerade wenn wir nicht damit einverstanden sind, was die NSA so treibt. Gerade dann. Doppelt wichtig sei das dann, dass wir mithelfen. An der Stelle wirkte das ganze ein bisschen wie ein Steve Jobs Moment auf mich. Das Realitätsverzerrungsfeld sorgte für einen leichten Schwindelanfall.
Überhaupt, dass der Mann sich da auf die Bühne stellt und was von Transparenz, Offenheit und Fakten auf den Tisch faselt, während die Fakten ja gar nicht er auf den Tisch gelegt hat, sondern der Snowden, das war schon echt ein Dali-Moment.
Unter den Hackern, mit denen ich mich so unterhalten habe, war die Sache völlig klar. Kein einziger war da auf Seiten der NSA. Da aber in den USA die Hälfte der Hacker ihr Gehalt direkt oder indirekt in Abhängigkeit von der Regierung bezieht, sagen da aber nur wenige offen ihre Meinung.
Wir haben da in Europa echt etwas gutes aufgebaut. Unsere Hacker-Szene ist mir deutlich sympathischer.
Update: Den einen tollen Spruch hatte ich noch gar nicht erwähnt. An einer Stelle war er sichtlich erzürnt, dass die Leute bei solchen Angelegenheiten der Presse glauben. Und nicht "den Fakten", womit er wohl seinen Behauptungen-Katalog meinte. Auch sehr auffällig war, dass die Folien sich sehr deutlich von dem Powerpoint-Fegefeuer abhoben, die Snowden da geleakt hatte. Das war ihnen offensichtlich ein echtes Anliegen, da nicht wie blutige Anfänger zu wirken :-)
Update: Oh und falls das nicht klar war: Die Idee, dass jemand schon gegen die Datensammlung an sich sein könnte, und nicht bloß Sorgen hat, dass das missbraucht werden könnte, die ist völlig außerhalb der Vorstellungskraft der NSA. Die gesamte Verteidigung ging davon aus: Wir haben diese Daten, und vertraut uns doch einfach, dass wir damit keinen Mist machen.