Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Hier sind die Fragen:
1. Wie ist Ihre Einschätzung der chinesischen Pläne?Die Frage ist, ob die Chinesen diese Software lediglich zur Verfügung gestellt bekommen (und sie auch einfach deinstallieren können), oder ob ihre Verwendung vorgeschrieben wird.
Wir proklamieren schon lange, dass Filtern der Realität beim Einzelnen oder gar nicht stattzufinden hat. Wenn jemand nicht in die Zeitung gucken möchte, steht ihm das frei. Wenn jemand sein Internet mit dieser Software filtern möchte, ist das auch OK. Solange der Einzelne über die Verwendung der Software entscheidet, haben wir keine prinzipiellen Einwände.
Wenn die Regierung sich aber anmaßt, das für die Bürger entscheiden zu wollen, dann ist das ein grundsätzlicher Eingriff in die Rezipientenfreiheit und wie die anderen klassischen Merkmale von Diktaturen aufs Schärfste zu verurteilen. In Deutschland kennen wir das z.B. aus der NS-Zeit (in den 30 Jahren wurde im Rundfunk die Ausstrahlung von "Nigger-Jazz" verboten, und später gab es dann ein generelles "Feindsenderverbot") und der DDR (wo der Empfang von Westsender teilweise unter Strafe stand). Die DDR hat sogar Mittelwellen-Störsender betrieben, um den Empfang von unerwünschten Inhalten zu verhindern. Konzeptionell genau das selbe ist auch die Internetzensur-Infrastruktur, deren Betrieb durch das BKA gerade in Deutschland unter dem Vorwand der Verfolgung von kinderpornographischen Inhalten diskutiert wird.
2. Im Hinblick auf das Bestreben kinderpornographische Inhalte aus dem Internet zurück zu drängen, wäre dies auch ein möglicher Ansatz für Deutschland?Nein, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Aber lassen Sie mich vorweg darauf hinweisen, wie stark wir unseren freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat schon ausgehöhlt haben, dass sich diese Frage für Sie überhaupt stellt! Noch vor einem Jahr waren unsere Journalisten und Medien schockiert und voll des Zornes, weil sie bei der Berichterstattung von den Olympischen Spielen nur zensiertes China-Internet hatten. Damals war für alle Beteiligten klar, dass Internetzensur eine unwürdige Sache ist, die bei uns niemals denkbar wäre, eine Schande für jede Demokratie und ein klares Zeichen, dass es sich in China eben nicht um eine Demokratie und nicht um einen Rechtsstaat handelt. Wir vom CCC haben damals eine Zensurumgehungsanleitung für Journalisten in China veröffentlicht. Heute braucht man diese Anleitung auch im Inland. Empfehlungen wie TOR galten früher für Blogger in China und dem Iran, heute werden auch Reporter in Deutschland auf die Benutzung davon geschult.
Wenn die Installation dieser chinesischen Filtersoftware Pflicht ist, haben wir das selbe Ergebnis wie die zentrale Internet-Zensur, mit der unsere Regierung ja gerade in Online-Umfragen Schiffbruch erleidet. Das ist ein Eingriff in die Rezipientenfreiheit und jedes demokratischen Rechtsstaates unwürdig. Die selben Politiker, die das jetzt fordern, haben vor einem Jahr anläßlich der olympischen Spiele in China entrüstet die Internetzensur international ächten wollen und sie haben sogar über Zensurumgehungs-Hilfsprogramme für die armen Zensuropfer in China nachgedacht. [Quelle 1, Quelle 2]
Heute müssen sich die selben Herren von China ins Gesicht sagen lassen, dass unsere Zensur ja genau das selbe sei wie deren Zensur, und das stimmt! China sperrt ja nicht willkürlich irgendwelche Seiten, sondern die haben genau wie wir Gesetze, nach denen diese Seiten illegal sind. Die Chinesen sperren illegale Seiten, und wir sperren illegale Seiten. Inhaltlich ist das in der Tat genau das selbe. Die ganze Sache ist so peinlich, dass die Chinesen so erfolgreich das Thema Internet-Zensur von der Agenda des Internet Governance Forums gekriegt haben.
Und wenn die Installation der Filtersoftware nicht Pflicht ist, dann bringt sie auch nichts. Kinderpornographische Inhalte laufen einem ja nicht zufällig beim Klicken über den Weg, da muss man explizit nach suchen, und man muss auch wissen, wo man suchen muss. Wer Kinderpornographie im Internet konsumiert, der tut das absichtlich und vorsätzlich. So jemand würde natürlich auch diese Software abschalten.
3. Falls nicht, welche Vorschläge haben Sie für diesen Bereich?Wir halten die bestehenden Gesetze für völlig ausreichend. Wenn ein Bürger Kenntnis davon erhält, wo man auf kinderpornographische Schriften zugreifen kann — ob inner- oder außerhalb des Internet! —, dann geht er zur Polizei und teilt denen das in Form einer Strafanzeige mit. Die gehen dann los, beschlagnahmen den Server und verhaften die Betreiber.
Das häufig vorgebrachte Argument, man käme im Ausland an die Server nicht heran, hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Denn die Hochtechnologie-Länder, die ausreichend Internet-Anbindung haben, um dort Server-Hosting (auch für legale Inhalte) überhaupt stabil und bezahlbar anbieten zu können, das sind eben keine Bananenrepubliken und korrupten Drittweltstaaten. In diesen Ländern sind solche Inhalte auch verboten, dort gibt es eine Polizei und eine Strafverfolgung, und dort kann man sich auch darauf verlassen, dass der Staat bei einer eingehenden Anzeige tätig wird. Untersuchungen zeigen, dass nur ein verschwindend geringer Anteil von solchen Inhalten auf Servern außerhalb der USA und der EU liegen, und sogar ein Land wie Russland ist inzwischen soweit, dass ein Server mit solchen Inhalten nach einem Hinweis aus Deutschland innerhalb von 1-3 Tagen vom Netz ist.
Zum Vergleich: der Verwaltungsakt innerhalb der Polizei und Strafverfolgung, bis eine Anzeige auf dem geordneten Dienstweg über Ländergrenzen transportiert wird, liegt im Bereich von einem Monat aufwärts.
Aus unserer Sicht ist es daher unredlich, hier überhaupt so zu tun, als gäbe es gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Was wir brauchen ist mehr Druck auf die zuständigen Behörden im In- und Ausland, damit die im Zweifelsfall auch ohne Verzug tätig werden.
4. Welche Folgen hätte eine solche Maßnahme im Bereich des "freien Internets"?Die Idee, dass irgendein Teil des Internets "frei" ist, stimmt schon lange nicht mehr.
Im Detail unterscheiden sich zwar die Ansichten, welche Inhalte genau verboten sind (so ist Holocaust-Leugnen z.B. bei uns verboten, aber nicht in den USA), aber letztlich gibt es in jedem Land verbotene Inhalte. Wenn man solche Inhalte dort im Internet (oder außerhalb des Internets auf offener Straße) anbietet, dann kommt die Polizei und unterbindet das.
Die Stellen, bei denen sich die Welt nicht einig ist, erzeugen natürlich Reibung, können aber auch eine Gelegenheit für wichtige Diskussionen sein. So gibt es z.B. regional unterschiedliche Auffassungen, ob das Verbot von Zeichnungen oder textuellen Beschreibungen von Sex mit Kindern tatsächlich Kinder schützt und daher verboten werden muss. In den USA fielen solche Texte unter freie Meinungsäußerung. Bei uns sind ja sogar pornographische Darstellungen von jugendlich aussehenden Erwachsenen unter Strafe gestellt, das kann man in vielen anderen Ländern nicht nachvollziehen.
5. Welche Folgen sehen sie für andere Bereiche, wie bsp. für die freie Meinungsäußerung?Es besteht kein Zweifel, dass man den Missbrauch von Kindern verhindern muss, wo es nur geht. Und so gut wie niemand würde es als geschützte Meinungsäußerung werten, wenn ein Pädophiler Fotos von mißbrauchten Kindern verbreitet.
Letztlich ist aber die ganze Kinderpornographiedebatte nur eine Scheindebatte zu Wahlkampfzwecken, weil nur von ca einem Prozent der Missbrauchsfälle überhaupt Fotos oder Filme hergestellt werden. Selbst wenn wir das also zu 100% austrocknen und die Täter alle dingfest machen, dann haben wir immer noch 99% der mißbrauchten Kindern nicht geholfen.
Das muss man sich bei der Bewertung der Vorschläge immer vor Augen halten. Wenn es hier also tatsächlich darum geht, den Missbrauch von Kindern zu verhindern, ist das Internet nicht der Tatort, an dem wir kämpfen müssen. Die Kriminalstatistik zeigt, dass es 2007 12.772 Fälle von Kindesmißbrauch gab, aber nur 103 davon zur Herstellung und Verbreitung von pornographischen Schriften. Die Anzahl der Fälle ist seit Jahren fallend, die Aufklärungsquote ist gleichzeitig stetig gestiegen und liegt 2007 bei 89%. Die Polizei ist also auf dem richtigen Weg. Unsere Steuermittel sollten in die Polizeiarbeit fließen, in Hilfe für Pädophile, damit sie nicht zu Tätern werden, in Hilfe für Missbrauchsopfer, und in Aufklärungskampagnen, damit Familienmitglieder die Zeichen erkennen und handeln können.
Abgesehen davon: wir haben es bei den diskutierten technischen Zensurmitteln im Internet mit einer Einschränkung der Rezipientenfreiheit zu tun, und nicht mit einer Einschränkung der Meinungsäußerung. Es wird ja gerade nicht verhindert, dass die Bilder angefertigt und ins Internet gestellt werden, nur dass der Durchschnittsbürger sie dort angucken kann (und es ist nicht einmal klar, ob dieses Ziel erreicht würde). Das hilft weder dem Kind noch wird der Täter so gefasst und an weiteren Missbrauchsdelikten gehindern.
Die freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut, das in Deutschland viel zu gering geschätzt wird (wir haben z.B. keinen Whistleblower-Schutz), aber in diesem Fall geht es nicht um die Meinungsäußerung sondern um Rezipientenfreiheit.