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Die Zusammenfassung, die du zu time crystals verlinkst, ist bei der Übersetzung von Quantenphysik zu allgemeinverständlich etwas übers Ziel hinausgeschossen, denke ich. Ich bin zwar selber eher in der Experimentalphysik verortet als in der Theorie oder so, aber ich denke, die groben Konzepte der dahinter stehenden Paper habe ich verstanden. Es geht grob so vor:
- Teilchen (z.B. Atome) bewegen sich in der Physik in einer Umgebung, üblicherweise beschrieben durch einen Hamiltonian. Die Umgebung könnte z.B. Vakuum sein, dann ist der Hamiltonian eben eher langweilig, oder die Umgebung könnte z.B. für ein Elektron im Metall schon ganz anders aussehen, weil da sind ständig Atomkerne im Weg usw. Das schreibt man in den Hamiltonian rein.
- Man kann sich dann anschauen, was so ein Teilchen im vorgegebenen Hamiltonian machen kann: Für ein Elektron im Metall kommt da z.B. rumfliegen raus (=elektrische Leitfähigkeit), für ein Elektron im Isolator kommt dagegen eher nur "um immer den gleichen Kern rumfliegen" raus (=Isolation). Aber: Was genau erlaubt ist, hängt ganz stark von der Energie ab, die das Teilchen hat. Wenn man nur genügend Energie reingibt, fliegt so ein Elektron auch im Isolator rum.
- Ein besonderer Zustand ist dabei: Was passiert, wenn ich /überhaupt keine/ Energie hinein tue? Was ist der energetisch niedrigste Zustand, den mein System/Teilchen mit dem gegebenen Hamiltonian annehmen kann? Solche Zustände nennt man dann Grundzustand. Für manche Hamiltonians ist das relativ einfach, z.B. so ein Elektron im Vakuum kann (in erster Näherung) einfach irgendwo rumgammeln ohne sich zu bewegen, da ist dann ziemlich minimal Energie. Aber schon bei Elektronen im Metall wird das etwas anders: Da ist zwar im Grundzustand für die meisten Elektronen nicht viel los, aber weil nicht alle Elektronen in den niedrigsten Zustand "passen" (Pauli-Prinzip), sind in einem Metall ein paar Elektronen auch im Grundzustand sehr beweglich. Das ist genau der Unterschied zwischen Halbleiter und Metall: Im Halbleiter ist im Grundzustand nichts beweglich, aber mit etwas Energie kommt man in bewegliche Zustände – im Metall ist immer etwas beweglich.
- Kristalle sind spezielle Zustände: Sie wiederholen sich immer in festen Abständen. Wenn ich einen Kristall genau einen Atomabstand weiter bewege, sieht er genau aus wie vorher – aber: Wenn ich weniger als einen Atomabstand weiter bewege, sieht er anders aus. Das ist die Definition von Kristallen. Wirklich stabil sind Kristalle nur, wenn sie der Grundzustand eines Systems sind, sonst gehen sie fix kaputt, weil das System die Energie irgendwo anders hin los wird und dann ist der Kristall futsch.
- Time Crystals sind also Systeme, die genau gleich aussehen, wenn ich die Uhr genau einen Zeitabstand weiter "drehe", aber anders aussehen, wenn ich die Uhr weniger als einen Zeitabstand weiter drehe. Und stabil sind Time Crystals nur, wenn sie der Grundzustand eines Systems sind.
- Jetzt ist also die spannende Frage: Kann ich einen Hamiltonian so bauen, dass der Grundzustand periodisch in der Zeit wird? Kann ich also z.B. Atome so zusammensetzen, dass die Elektronen die ganze Zeit definierte Kreise fliegen und so z.B. alle 15 ns oder so der gleiche Zustand eingenommen wird, dazwischen aber immer andere?
Die Antwort ist: Ne, das geht mit normalen, zeitunabhängigen Hamiltonians nicht. Wäre ja auch irgendwie komisch, wie du intuitiv schon bemerkt hast.
Aber: Wenn ich meinen Hamiltonian in der Zeit verändere, dann geht das! Also: Wenn ich z.B. ein Metall nehme, und das rhytmisch hin und her schüttele, dann könnte es sein, dass für die Elektronen in dem Metall auch ein rhytmischer Zustand der Zustand mit der niedrigsten Energie ist, das wäre dann ein Zeitkristall.
Und, jetzt das coole: Sie haben mit Hilfe von so ein paar Atomen in magnetischen Fallen und einem gepulsten Laser genau so eine Umgebung geschaffen, die dazu führt, dass der Grundzustand ein zeitlich periodischer Zustand ist. Yay!
Das ist dann fancy neue Materie, die vielleicht sogar mal für quantencomputing oder so interessant wird.
Aber: um so einen zeitabhängigen periodischen Hamiltonian (=Umgebung) hinzukriegen, muss man natürlich irgendwas zeitlich periodisches machen, wie in diesem Fall den gepulsten Laser. Und da kommt dann auch wieder das nicht-perpetuum-mobile ins Spiel: In der gegebenen Umgebung ist der Zeitkristall der Grundzustand mit der niedrigsten Energie. Wenn man den Laser aber abschaltet, ändert man die Umgebung und dann ist wieder ganz normales "alles spratzt irgendwie auseinander" der Grundzustand.