Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Keynotes sind ja eher nicht so mein Gebiet, ich mache lieber Technik oder Entertainment. Keynotes sind überhaupt eine sehr merkwürdige Art des Vortrags. Ich habe mir mal gezielt ein paar Keynotes angeguckt, um zu sehen, was da von mir erwartet wird, und das ist ein ganz eigenes Genre.
Ca ein Viertel sind so "I have a dream"-Visionen, auch partiell "We shall overcome" (hier ist ein Problem, aber wir schaffen das!1!!), die Hälfte sind so Marketing-Blablah-Geschichten und Selbstbeweihräucherung der Branche, und ein Viertel sind so "wir werden alle störben"-Doomsday-Warnungen.
Das ist alles nicht so mein Metier. Ich bin eher ein Freund von Gedankengängen mit Erkenntnisgewinn am Ende.
Wenn man sich populäre TED-Talks anguckt, dann sind die Gedankengänge von der Komplexität her immer auffällig auf Ernie-und-Bert-Niveau. Ich glaube, dass das System hat. Der Zuschauer wird nicht überfordert und kann sich bestätigen, dass er zu den oberen 50% gehört, weil er das alles schon vorher wusste. Ich habe beobachtet, dass auch immer die Vortragenden am populärsten sind, die non-threatening sind, und zwar im körperlichen wie auch im übertragenen Sinn. Wo man keine Angst haben muss, dass er Chef das sieht und sich denkt: Ich feuer meine Leute und stell lieber den ein.
Ach naja. Ich mach mir da immer viel zu viel Sorgen. Publikumsbeschimpfung geht immer. :-)
Update: Die Veranstaltung stellt sich gerade als im Wesentlichen eine Schlangenöl-Verkaufsevent heraus. Ich bin ja immer wieder fasziniert, wie die Leute "Ransomware zieht dir Geld aus der Tasche" klar unmoralisch finden, aber "Schlangenölbranche zieht dir Geld aus der Tasche" ist halt Kapitalismus.
Ein mir neuer Aspekt, der mich gerade echt flasht, ist dass die Sales-Drohnen jetzt ernsthaft mit folgender Argumentation rumlaufen: Durch die EU-Datenschutzverordnung drohen ja Strafen bis zu 4% des Jahresumsatzes. Also werden bestimmt auch die Malware-Leute anfangen, ihre Schutzgelder entsprechend hochzudrehen. Also sollten Sie das als drohenden Schaden sehen. Also müssen Sie jetzt auch soviel (oder zumindest "entsprechend mehr" Geld für unser Schlangenöl ausgeben.
Wie geil ist DAS denn?!
Update: Oh und meine Keynote lief glaube ich ganz gut. Falls jemand wissen will, worum es ging: Ich erkläre, was Externalisierung von Kosten ist (Umweltverschmutzung, Atommüll, Bankenskandal), dass das gemeinhin als unmoralisch und verwerflich gesehen wird, und stelle dann die These in den Raum, dass das Verbreiten von schlechter Software auch Externalisierung von Kosten ist. Dann erkläre ich, wie Security-Bugs auch Bugs sind, und erzähle die Anekdote, wie ich herausfand, dass Format String Bugs gefährlich sind, und in Panik meine Quellen durchging, ob ich das auch mal falsch gemacht habe. Hatte ich nicht. Weil das vor Bekanntwerden der Security-Implikationen auch schon ein Bug ist, und ich meinen Code sorgfältig geschrieben hatte. Security-Probleme sind also Pfusch, schlussfolgere ich an der Stelle.
Dann geht es mir um die Frage, wieso wir Pfusch dulden, und beobachte, dass das immer ökonomische Argumente sind. Als letzten Teil versuche ich, das ökonomische Argument für Pfusch zu demolieren. Erstens ist der Vergleich einer billigen Pfusch-Lösung mit einer ordentlichen, sicheren Lösung unlauter, weil nur die eine die Anforderungen erfüllt. Zweitens, so habe ich bisher beobachtet, kostet das gar nicht mehr, etwas ordentlich zu machen, weil einem das noch vor Produktlaunch auf die Füße fällt, wenn man bei auch nur einem der Module gepfuscht hat. Da würde ich echt gerne mal ein paar wissenschaftliche Untersuchungen zu sehen, inwieweit man das nachmessen kann. Vielleicht irre ich ja.
Update: Jahresumsatz, nicht -profit. Mach ich jedesmal falsch, weil es so ungeheuerlich ist :-)