Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Erstens: die Hauptverantwortung für gesellschaftliche Veränderungen haben meiner Ansicht nach nicht die Politiker, sondern die Sci-Fi-Autoren und die Techies. Die Sci-Fi-Autoren beschreiben ihre Visionen von zukünftigen Technologien und daraus resultierenden Gesellschaftsmodellen. Das lesen die Techies und entwickeln das dann. Ganz einfache Verhaltenskette. Die Politiker können nur machen, wofür die Technologien existieren. Und es besteht ja wohl kein Zweifel daran, daß wir in Zukunft alle vollständig überwacht werden. Selbst in Star Trek, der strahlenden Utopie unter den Sci-Fi-Universen, ist jederzeit von allen Personen feststellbar, wo sie sich gerade auf dem Schiff aufhalten. Und niemand findet etwas dabei! Kennt ihr jemanden, der Star Trek als Polizeistaat-Propaganda bezeichnen würde? Natürlich nicht! Alle sind sich im Grunde einig, daß es da hin geht. Alles andere ist in meinen Augen Selbstverarsche.
Dann heißt es immer, Kameras hätten so viele Nachteile, und das sei ein Polizeistaat. Sehe ich nicht so. Kameras haben im Gegenteil echte Vorteile. Man stelle sich mal folgendes vor: die Polizei kommt, gestern um 4 ist der Nachbar erschossen worden, sie wollen wissen, wo ich war. Ich war einkaufen. Da haben mich Hunderte gesehen, aber keiner wird sich an mich erinnern. Aber die Überwachungskamera hat mich gesehen und kann bestätigen, daß ich da war. Früher konnte man dann sein Alibi nicht beweisen und wurde anhand von Indizien verurteilt. Der einzige Nachteil wäre, wenn die Kamera die Daten nicht lange genug vorgehalten hat. Aber auch hier können wir uns an Star Trek orientieren. Dort haben sie eine Datenbank über jeden, die Jahre zurück reicht. So wird das bei uns auch sein, da bin ich mir sehr sicher. Und reden wir mal nicht vom Einkaufen, sondern von dem klassischen schlechten Alibi: "ich war zuhause und habe ein Buch gelesen". Auch das ist bisher nicht beweisbar, aber wenn vor und hinter dem Haus Kameras sind, kann man es beweisen!
Die gravierenste Kritik an Kameraüberwachung ist, daß sich das Verhalten ändert, wenn man weiß, daß man überwacht wird. Klingt plausibel, aber hält dem Praxistest nicht stand. Wir werden jetzt schon ständig überwacht im öffentlichen Nahverkehr und auf öffentlichen Plätzen. Mein Verhalten hat sich dadurch nicht geändert. Wenn sich überhaupt ein Verhalten ändert, dann bei unserer Generation, die das noch nicht gewohnt ist. Aber selbst das bestreite ich. Es ist bekannt, daß Emails, Instant Messages und Webclicken komplett abhörbar sind und auch flächendeckend abgehört wird. Hält das irgendjemanden vom Porno-Klicken ab? Was ich schon für Geschäftsgeheimnisse geemailt bekommen habe! Leute benutzen AOL oder MSN Instant-Messenger, wo man nicht nur weiß, daß das unverschlüsselt und abhörbar ist, sondern auch daß das durch Infrastruktur in den USA läuft! Und nicht irgendwelche Leute — Security-Consultants! Neulich rief mich einer auf dem Handy an, um mit mir etwas geheimes zu besprechen, was er mir nicht emailen wollte, weil ihm das nicht sicher genug war. Und Verträge und Trade Secrets werden auch gerne gefaxt, weil es zu unsicher ist, das am Telefon zu besprechen. Kurz gesagt: es gibt überhaupt keinen Hinweis darauf, daß Leute ihr Verhalten ändern, wenn ein bestimmtes, gewohntes Verhalten plötzlich als überwacht gelten muss. Die meisten Leute argumentieren dann, daß sie ja nichts interessantes gemacht hätten, und von all den Leuten, die sich über den Alexanderplatz bewegt haben an dem Tag, wieso würde man da ausgerechnet seine Daten weiterverarbeiten? Ist natürlich Blödsinn, man datamined natürlich alle Daten und filtert da nicht vor. Eine 400 GB Platte kostete mich neulich 200 Dollar. Es ist hanebüchen, da Platzprobleme anzunehmen. Guckt doch mal, was unser Staat in Systeme wie die Gesundheitskarte pumpt, und da gibt es weniger ROI.Der eigentliche Grund, wieso man sich wegen Videoüberwachung im Moment keine Sorgen machen muss, sollte allerdings auch genannt werden: es existieren noch keine Algorithmen zur Gesichtsextraktion aus Videobildern, die auch nur annähernd präzise genug ist, da ist man noch mehrere Größenordnungen von einer brauchbaren Fehlerrate entfernt. Ganz zu schweigen von der Problematik, überhaupt Pixelhaufen als Gesichter zu erkennen, inklusive Orientierung und Winkel, und zwei Gesichter nebeneinander an der richtigen Stelle auseinanderzuschnipseln. Ingo Lütkebohle hat einen prima Vortrag dazu auf dem 22c3 gehalten, hier gibt es die Videoaufzeichnung. Wer sich mal mit Computer Vision im Robotik-Umfeld beschäftigt hat, weiß um den Stand der Technik auf dem Gebiet. Im Moment muss man sich da noch gar keine Sorgen machen.