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Seit dem hat sich das weiter verschlimmert. In einem aktuellen Fall geht es um die NRA, die Waffenlobby. Der Gouverneur von New York hatte öffentlich Banken und Versicherungen dazu aufgerufen, nicht mit denen Geschäfte zu machen. Die ACLU hat also ein Amicus Brief geschrieben, in dem sie das Gericht bat, bitte ganz genau und sorgfältig zu prüfen, ob der Gouverneur da nicht die Grenzen seines Amtes verletzt hat. Ein Amicus Curiae ist ein Brief an ein Gericht von einer dritten, unbeteiligten Partei. Üblicherweise sind das Firmen, die durch den Ausgang des Verfahrens ihr Geschäftsmodell potentiell bedroht sehen, und dann ein slippery-slope-Argument aufmachen. Oder es sind Dritte, die gerne gehört werden wollen, ohne von der Verteidigung oder Anklage als Zeuge gerufen zu werden. Sozusagen ein nicht vom Gericht beauftragtes Privatgutachten.
Die ACLU macht sehr viele davon, schon immer. Für alle möglichen Fälle. In ganz krassen Fällen stellt sie auch Anwälte oder übernimmt direkt die ganze Verteidigung. So ein Amicus Curiae-Brief ist jedenfalls eine der untersten Kategorien von ACLU-Mithilfe, nur knapp über "wir veröffentlichen auf unserer Webseite eine Pressemitteilung". Das sollte völlig unkritisch sein. War es aber nicht. Schon vor der Veröffentlichung davon sah sich der National Legal Director der ACLU genötigt, ein paar verteidigende Worte an die Mitarbeiter zu schreiben:
David Cole, the ACLU’s national legal director, sent out a short email to staff. Cole explained that he felt that New York Democratic Gov. Andrew Cuomo had “explicitly target[ed] the NRA” based on its “constitutionally protected political advocacy” by advising banks and insurers not to do business with the pro-gun group. “If the state can penalize gun promotion advocacy groups by threatening their service providers,” Cole continued, “it can do the same to other groups”—including Black Lives Matter. Thus, the ACLU had decided to urge the courts to “carefully scrutinize” whether Cuomo has tried to unconstitutionally punish the NRA based on “hostility to [its] viewpoint.”
Das alleine ist ja schon furchtbar. Die ACLU war da immer auf Linie, hat jeden verteidigt, bis hin zur Nazipartei. Wenn deine Grundrechte beeinträchtigt wurden, hat die ACLU dich verteidigt. Egal wer du bist. Das ist nicht mehr so.Within hours, the organizationwide listserv had lit up. Staffers at both the national office and state affiliates wrote back to register their frustration with Cole’s decision. The ACLU of New York sent out a statement on Monday explaining why it had declined to support the national office’s position.
Und dann kamen so Argumente wie dass die NRA eine Lobbygruppe sei, die genug Kohle habe, um sich selbst zu verteidigen, und dass man damit den guten Ruf der ACLU gefährde, wenn man solchen schlechten Menschen helfe, und es sei nicht in Ordnung, dass die Bundes-ACLU nicht erstmal alle Stakeholder befragt hätte, ob das in Ordnung sei.SO WEIT ist die ACLU schon gefallen.
Friday’s brief marks the third time in about a year that the ACLU has come to the defense of conservative expression and incurred backlash among its own staffers.
Die tollen Grundrechtler bei der ACLU finden, Grundrechte sollten nur den guten Menschen zustehen, die ihre politischen Einstellungen teilen. Die anderen können mal ruhig zur Hölle fahren.Interessanterweise gibt es auch echte Argumente gegen die NRA-Verteidigung, die das New York Office dann auch gebracht hat. Stellt sich raus: Die NRA hat eine Versicherung für ihre Mitglieder namens Carry Guard:
But the state has been investigating the NRA’s Carry Guard insurance products, which indemnify members who fire guns in self-defense, since 2017.
Das geht natürlich gar nicht, dass eine Versicherung in Strafrechtsfällen die Strafe übernimmt. Daher hat New York auch der Versicherung und ihrer Rückversicherung Millionenstrafen reingedrückt. Wenn der Gouverneur also die Warnung von NRA-Zusammenarbeit nicht wegen seiner politischen Einstellung ausgesprochen hat, sondern weil die Banken und Versicherungen sich selbst strafbar machen würden, wenn sie das tun, dann wäre das OK.Aber wie so häufig bei Briefen und Zeitungsartikeln kommt der eigentliche Grund als letztes, ganz am Ende. So auch hier:
They added that “we are mindful of the impact that defending the NRA may have on our work with important allies.”
Das Argument war an anderer Stelle noch deutlicher ausgeführt:“While I do respect the reasons others posit for taking this case on, I don’t respect the continued refusal of privileged decision-makers to recognize how deeply problematic it is to use BLM as a shield for actions that support white supremacy, particularly [from] an organization that enjoys the immense level of privilege we do.”
Wir sind ja voll mit white privilege hier! Lauter alte, weiße Männer! Wir sollten also unser Hirn abschalten, und nur tun, wass Black Lives Matter sagt!1!!Status aktuell:
The ACLU had, in fact, previously moved toward incorporating what one staff attorney described as “power analysis” into its free speech litigation. In June, the Wall Street Journal published a leaked internal memo that sought to address potential “conflicts” between the organization’s “values and priorities.” In choosing which cases to take, the memo said, ACLU attorneys would consider structural power dynamics as well as the impact of the “proposed speech” on “marginalized communities” and the extent to which the speech may advance views that “are contrary to our values.”
Ich befürchte, die haben alle das "Grund" in "Grundrechte" nicht verstanden. Ich bin immer wieder erschüttert, mit welcher Leichtigkeit sich selbst als unfair marginalisiert sehende die selben Grundrecht-Kürzungen bei ihren politischen Gegnern durchführen wollen, die sie gerade noch unfair marginalisierend fanden, als sie gegen sich selber angewendet wurden. Habt ihr alle nichts gelernt?! Die NRA gehört bekämpft, aber doch nicht mit solchen Mitteln! Das Ziel ist doch, am Ende als weißer Ritter unbefleckt auf dem Hügel zu stehen und glaubwürdig die Gesellschaft weiterbetreiben zu können, nicht als bloß einer von den ganzen anderen kriminellen Kombattanten zwischen rauchende Ruinen zu stehen, und es gibt niemanden mehr, der nicht moralisch zu kompromittiert ist, um als nächster den Laden in die Zukunft zu führen.Update: Ein Leserbrief erklärt Carry Guard:
Zu deinem Artikel über die ACLU und den Carry Guard der NRA möchte ich noch anmerken, dass es sich lediglich um ein Versicherungsprodukt handelt, dass bei uns als kombinierte Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung verkauft werden würde. Als Jäger bin ich in Deutschland sogar verpflichtet, eine Jagdhaftpflichtversicherung zu besitzen und war über den Aufschrei über dieses Produkt in den USA sehr erstaunt.
Carry Guard insurance was launched this past spring by the NRA. Rates range from $13.95 a month for up to $250,000 in civil protection and $50,000 in criminal defense to a "gold plus" policy that costs $49.95 a month and provides up to $1.5 million in civil protection and $250,000 in criminal defense.
(https://www.cbsnews.com/news/nras-carry-guard-comes-under-fire-as-murder-insurance/)In dem Fall, dass man eine legale (!) Schusswaffe zur Selbstverteidigung (!) einsetzt, würde die Versicherung Anwaltskosten zur Verteidigung und gegebenenfalls zivilrechtliche Ansprüche übernehmen. Eine Strafvereitelung (“Wir bezahlen deine Geldstrafe”) wurde niemals angeboten.
Zum Kontext sollte man noch wissen, dass Rechtsschutzversicherungen in den USA quasi unbekannt sind, man kauft sich dort statt dessen in der Regel eine Flatrate beim Anwalt (sog. "Retainer”).
Dann verstehe ich nicht, wie New York den Versicherungen Strafen reindrücken konnte.