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Lieferengpässe nehmen seit ca 2005 (seit dem AVWG - Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung) stetig zu.Vielen Dank an dieser Stelle für die vielen Einsendungen, auch die, die ich nicht berücksichtigen konnte.
Der aktuelle Krisenhöhepunkt wird zwar auch durch die Corona-Krise befeuert, die Ursachen sind aber viel älter.Es gab auch vor 2005 schon vereinzelt Medikament, die aus unterschiedlichen Gründen nicht lieferbar waren (Chargenausfälle, Insolvenzen beim Hersteller etc.) aber das war vergleichsweise selten und harmlos.
In 2005 kam dann das Gesetz von Ministerin Ulla Schmidt, was es den Kassen ermöglichte, Rabattverträge mit den Herstellern von rezeptpflichtigen (RX) Medikamenten abzuschliessen. Vulgo: Du bekommst nur noch Medikamente in der Apotheke ausgehändigt, wenn die Krankenkasse (KK) einen Vertrag mit dem Hersteller des Medikamentes hat. Vorher gab es einen relativ freien Markt, der aber natürlich auch so seine Fehlanreize hatte. Das darf man nicht beschönigen.
Heute kauft der Apotheker zu einem festgelegten Einkaufspreis und verkauft zum festgelegten Verkaufspreis (diese sogenannten TaxPreise sind bei RX-Medikamenten gesetzlich vorgeschrieben. Von ihnen darf nicht abgewichen werden).
Die Krankenkasse bezahlt dem Apotheker diesen festgelegten Preis, holt sich aber gleichzeitig den (geheimen!) Zwangsrabatt beim Hersteller zurück, so dass sie faktisch nur die Differenz zwischen Apotheken-EK und Zwangsrabatt bezahlt.
Bei manchen Krankenkassen (wie den AOKen) gab es sogar nur einen Vertrags-Hersteller pro Wirkstoff. Die Absicht dahinter war, den Preis auf ein Minimum zu drücken, indem man dafür dem Hersteller ein quasi-Monopol versprach.Gleichzeitig wurde den Herstellern verboten, die Preise ihrer Medikamente - zum Beispiel zum Inflationsausgleich - nach oben anzupassen (Preis-Moratorium). Das gilt seit 2005 bis heute.
Das Ende vom Lied ist, daß Deutschland inzwischen im Bereich der RX-Medikamente ein ausgesprochenes Niedrigpreisland ist (auch wenn im Volksmund immer das Gegenteil behauptet wird). Die internationalen Hersteller verkaufen aber Ihre (beschränkte) Ware größtenteils an die Länder, wo sie mehr dran verdienen können.
Da bleibt dann oft nur eine kleinere Menge für Deutschland über.Ohne viel vorwegzunehmen kann sich jeder vorstellen, daß das nicht die beste Idee in punkto Versorgungssicherheit für die Versicherten war.
Dieses System führte in den vergangenen 15 Jahren zu einer Menge Fehlstellungen:
Die europäischen Hersteller und -standorte sind innerhalb weniger Jahre dem Preisdiktat zum Opfer gefallen. Es gibt nur noch ganz wenige Medikamente, die in Europa, geschweige denn D produziert werden. Wir sind quasi vollständig von Indien und China abhängig.
Dort findet nämlich fast ausschliessslich die Herstellung der Wirkstoffe statt. Ist einfach billiger und es guckt keiner so genau hin. Das merkt man hierzulande an den immer weiter eskalierenden Qualitätsmängeln (nicht zuletzt die Verseuchung von vielen Medikamenten mit krebserregendem NDMA im letzten Jahr).Viele Wirkstoffe haben nur noch wenige oder sogar nur noch einen großen Hersteller. Ein gutes Beispiel ist dafür der bekannte Schmerzwirkstoff Ibuprofen. Er wird weltweit nur noch in einer handvoll Fabriken hergestellt. Da hat Sanofi ein quasi-Vertrags-Monopol für die Tabletten der meisten deutschen Krankenkassen mit seinem Produkt Ibuflam.
Die anderen Hersteller produzieren nur noch unbedeutende Restmengen. Wenn bei Sanofi mal wieder was schief geht fällt also nahezu die gesamte RX Ibu-Tabletten-Versorgung flach, da diese Restmengen nur für einen kurzen Überbrückungszeitraum reichen.Gleichzeitig haben die Kassen die Preise für dieses Monopol so sehr gedrückt, dass den Herstellern keine finanziellen Spielräume mehr bleiben. Es geht da dem Vernehmen nach um einzelne Cents. Das setzt sich in der ganzen Lieferkette bis zum Wirkstoffhersteller fort, was nicht gerade zu einer Steigerung bei der Qualitätssicherung führt. Aus Effekivitätsgründen werden dann nur 98-99% des realen Bedarfes produziert, weil man keine finanziellen Reserven für Überproduktionen hat. Man beachte bitte, dass die Krankenkassen bis heute die geheimen Abrechnungspreise nicht offenlegen wollen. Für Körperschaften des öffentlichen Rechtes schon ein starkes Stück.
Wir als Apotheken können einen Teil der - durch dieses bekloppte System bedingten - Ausfälle abfedern, da wir - nur ausnahmsweise bei Nichtlieferbarkeit des Vertragspartners - auch gleichartige Produkte von anderen Herstellern abgeben dürfen. Das hat sicher schon jeder mal in der Apotheke gehört: "Tut mir leid, Ihr Artikel ist gerade wieder nicht lieferbar. Darf ich Ihnen ein wirkstoffgleiches Medikament mitgeben?" Das bedeutet für die Apotheken aber einen hohen Dokumentationsaufwand, da wir die Nichtlieferbarkeit erst aufwendig beim Großhandel und Hersteller erfragen und dokumentieren müssen. Ansonsten streichen einem die Krankenkassen 100% des Preises und man bleibt komplett auf dem Schaden sitzen. Gleichzeitig behaupten die Hersteller immer, sie wären lieferfähig, weil viele Rabattverträge eine Strafklausel bei Nichtlieferfähigkeit vorsehen.
Die Krankenkassen sind übrigens zwar an einem Großteil dieser Misere schuld, aber auch die anderen Marktteilnehmer sind nicht ganz unschuldig.
Alles in allem möchte ich nochmal betonen: Das ist nur ein Teil der ganzen Problematik, die viel umfangreicher und vielschichtiger ist. Ich musste auch oben einige Sachen vereinfachen und aus unserem Apothekensprech übersetzen, damit sie überhaupt nachvollziehbar werden, dafür bitte ich um Entschuldigung.Zum Schluß noch eines: Es wird aktuell immer wieder über eine Freigabe der gesetzlich festgesetzen RX-Preise diskutiert. Im Zuge der Corona-Krise sollte inzwischen auch dem letzten klar geworden sein, daß die fixen Preise vor allem zum Schutz der Bevölkerung dienen.
Man stelle sich mal vor, es würde einen effektiven - aber beschränkt bevorrateten - Wirkstoff oder Impfstoff gegen das Virus geben. Der Preis eines lebensrettenden Medikamentes würde (bei freien Preisen) deutlich schneller eskalieren, als der von Klopapier und Schutzmasken.
Wollen wir wirklich eine Gesundheitsversorgung, wo die Überlebenschancen vom Geldbeutel abhängen, so wie in den USA?