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Wahlen gibt es seit 1815.
Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt waren nach 1815 die ersten Staaten mit Repräsentativverfassung. Wählen durften in der Regel nur reiche Männer, beispielsweise jene, die einen bestimmten Steuersatz zahlten.Das zählt also nicht (Reichenwahlrecht, nicht Männerwahlrecht).
Weiter geht es 1848 mit der Märzrevolution.
Im April und Mai 1848 gab es die ersten Wahlen auf gesamtdeutscher Ebene, zur Frankfurter Nationalversammlung. Diese Versammlung entwarf eine gesamtdeutsche Verfassung und ein Wahlgesetz für allgemeine und gleiche Wahlen. Die mächtigsten deutschen Fürsten nahmen die Verfassung allerdings nicht an.Nicht überall, zählt also nicht.
Der nächste Schwung war der Norddeutsche Bund, mit dem norddeutschen Wahlgesetz von 1869, das später auch im Deutschen Reich galt.
Wählen durften Männer über 25 Jahren, sofern sie nicht etwa durch Entmündigung vom Wählen ausgeschlossen waren.Das klingt schon mal gut, allerdings:
In den deutschen Gliedstaaten blieb allerdings meistens ungleiches Wahlrecht in Kraft, zum Beispiel das Dreiklassenwahlrecht in Preußen oder ein Pluralwahlrecht (in dem manche Wähler mehrere Stimmen haben) in anderen Einzelstaaten.Zählt also auch noch nicht.
Die von Sozialdemokraten geführte Novemberrevolution 1918 brachte Deutschland das Verhältniswahlrecht und das Frauenwahlrecht. Zusammen mit den Grundsätzen der allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahl schrieb die Weimarer Verfassung von 1919 dies auch den Gliedstaaten vor.Mit anderen Worten: Das Männerwahlrecht gibt es in Deutschland genau so lange wie das Frauenwahlrecht. 100 Jahre.
In diesem Sinne: Lasst uns die freien Wahlen feiern, 100 Jahre freie Wahlen!
Wobei ja eigentlich auch das mit den 100 Jahren nicht wirklich stimmt, weil es bei den Nazis dann halt doch wieder kein Wahlrecht für alle gab. Und über die DDR müsste man an der Stelle auch nochmal reden. Wir sind also eigentlich eher bei 30 Jahren freie Wahlen in diesem Land. Je nach Blickwinkel.
Nur damit hier niemand in Freudentaumel verfällt, nur weil die Zahl gerade so schön rund ist.
Update: Ein Leser empfiehlt mir gerade dieses Buch zum Frauenwahlrecht von der Hans-Böckler-Stiftung und erzählt, dass die Einführung des Frauenwahlrechts nur de jure war, nicht de facto. Männer konnten Frauen straffrei am Wählen hindern, weil die Frauen noch keinen Anwalt mandatieren konnten.
Ansonsten habe ich gerade nochmal geguckt, wie das in den USA ist. Das 19th Amendment, das Frauenwahlrecht garantiert, ist von 1920. Da war Deutschland schneller. Interessanterweise geht (ich empfehle den Film The Corporation!) die Körperschaft als juristische Person auf die Sklavenbefreiung zurück und die war vorher. D.h. Firmen hatten Rechte bevor Frauen wählen durften.
Die Zivilisationsdecke ist viel dünner als man immer glaubt.