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Richard Stallman ist der Begründer des GNU-Projektes, dem wir unter anderem GCC und Linux zu verdanken haben, und eine absolute Legende unter Hackern, auch wenn er persönlich etwas schwierig ist (Klassiker, see also). Der Mann ist ein Ideologe und ein Fanatiker, und kompromisslos für freie Software (nicht Open Source, das ist eine fiese Gegenideologie, um sein Baby freie Software zu verwässern). Das klingt jetzt negativ, und es gibt über Stallman sicher viel negatives zu sagen, aber in meinen Augen ist er doch ein Held.
Stallman hat seit ewigen Zeiten beim CSAIL einen Posten, und man erzählt sich Geschichten, dass er da jahrelang im Terminalraum unter dem Tisch geschlafen hat.
Sein Rücktritt jetzt liegt aber an einer anderen Sache. Und zwar hat das MIT Spenden von Jeffrey Epstein angenommen, für das Media Lab. Zuständig war Joi Ito, der Chef des Media Lab, weltbekannt für seine Arbeit dort und allen Erzählungen nach ein exzeptionell gutherziger Mensch. Nun ist das Media Lab aber auf Drittmittel angewiesen (obwohl das MIT auf einem Geldberg sitzt), und so hat Joi Ito da eine Weile gegrübelt, ob er das Geld annehmen soll, und u.a. seinen Freund Lawrence Lessig gefragt, dessen Entschuldigsschreiben dazu ihr hier lesen könnt (empfehle ich, das ist echt der einzige positive Aspekt an dieser ganzen Nummer). Das MIT hat jetzt enorm öffentlichen Ärger abgekriegt, weil der Epstein ja vor vielen Jahren verurteilt wurde für was sich aus heutiger Sicht wie eine Randnotiz seiner Karriere als Zuhälter und Menschenhändler von Minderjährigen für Sexorgien mit Epsteins einflußreichen Promi-Kunden herausstellte — aber bevor das aktenkundig war, ist Epstein unter mysteriösen Umständen im Knast erselbstmordet worden. Er war zwar in dem Selbstmord-Gefahr-Programm, aber gerade zu dem Zeitpunkt waren genau die Kameras vor seiner Zelle ausgefallen und die Wächter waren eingeschlafen. Ja nee, klar.
Und da hat sich der Ärger halt in Richtung MIT entladen. Ironischerweise haben sie dem MIT vorgeworfen, dass sie die Spenden anonym angenommen haben. Lawrence Lessig erklärt sehr eloquent, dass das genau die einzige Waffe des MIT ist, um potentielles Blutgeld anzunehmen — damit man wenigstens dafür sorgt, dass derjenige sich nicht damit schmücken oder reinwaschen kann.
Viele Ultrareiche haben in ihrer zweiten Lebenshälfte ein schlechtes Gewissen und werden plötzlich zu Philanthropen, machen eine Spende nach der anderen, gründen Stiftungen und so weiter. Joi Ito wollte verhindern, dass der Epstein sich mit seinen Spenden für sein Lab von seinem schlechten Ruf reinwäscht und bestand daher darauf, das anonym zu machen.
Jedenfalls hat das nicht gereicht und Ito musste seinen Posten räumen, inzwischen wackeln sogar schon die Stühle seiner Vorgesetzten in der Uni-Verwaltung. Und unter den Leuten, die ihm zur Seite sprangen, war Stallman. Auf einer nicht öffentlichen Mailingliste, aber ein Berufsempörter war schockiert — SCHOCKIERT!!! — und hat das geleakt. Es ging darum, dass unter den Promis, die als Kumpels von Epstein angeblich in den Genuss von Sex mit Epsteins Harem aus Minderjährigen wurden, auch Marvin Minsky sein sollte, der inzwischen verstorben ist, und eine noch größere Legende als Stallman ist, eine der wichtigsten Figuren in der KI-Forschung. Um den Teil geht es aber gar nicht, sondern es geht darum, dass der Vorwurf war, Minsky habe "Sexual Assault" begangen. Stallman findet den Term ungeeignet, weil er häufig auf vergleichsweise geringe Tatbestände angewendet wird, um beim Leser die Vermutung und Emotionen für weit größere Sünden herbeizuführen.
Die Frau, um die es hier geht, war zu dem Zeitpunkt 17.
Stallman sagt jetzt, die werden dem Minsky nicht gesagt haben, dass sie minderjährig ist und das nicht freiwillig macht, und dann wäre Sexual Assault der falsche Begriff.
Stallman sagte auch noch, er finde, dass es nicht OK sei, einen wertenden Begriff wie "Vergewaltigung" zu benutzen, wenn es juristisch von +-1 Jahr Altersunterschied und/oder welchem Land die Tat stattfand abhängt. Das ist eine Ansicht, die ja auch bei Julian Assange und Schweden das eine oder andere Mal zu hören war.
Ich fühle mich ja bei solchen Meldungen immer an dieses Blogposting von 2015 erinnert.
Update: Von seinem Posten im Vorstand der Free Software Foundation ist er auch zurückgetreten.
Ich finde es tragisch, dass immer die falschen Leute genug moralischen Kompass für einen Rücktritt haben, während die, bei denen ein Rücktritt wirklich wichtig gewesen wäre, den Scheiß immer einfach aussitzen können.
Update: Lesenswerter Twitter-Rant über das Media Lab, Epstein und Sugar Daddy Science (toller Begriff, finde ich). Stellt sich raus: Epstein war Eugenik-Fan und erst in zweiter Linie pädophil. Und seine Drittmittel haben das Media Lab korrumpiert, nicht bloß wegen der Quelle sondern auch weil sie genug Kohle hatten, sich nicht mehr anstrengen zu müssen.
Update: Oh angeblich hat die Frau selbst ausgesagt, von niemandem gezwungen worden zu sein. Das spielt natürlich juristisch keine Rolle in einer Jurisdiktion, die bei Minderjährigen annimmt, dass sie nicht zugestimmt haben können.