Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Die Erbin aber habe keine Änderungen gewollt.Na dann ist das ja jetzt geklärt. Gut, dass wir keine Remix-Kultur haben. Nicht auszudenken, wenn jemand einfach so korrigierte Fassungen rausbringen könnte.
Da wären die Gefühle einer Witwe bedroht. Und vermutlich die Einnahmen, wenn die Leute nur noch die korrigierte Version kaufen.
Mir hat ja noch keiner erklären können, wieso eigentlich Nachfahren eines Künstlers Geld für das Werk ihres Vorfahren bekommen sollten. Ich finde das zutiefst ungerecht (genau so ungerecht wie das Vererben von Reichtum generell). Kriegen die Nachfahren des Müllmanns Geld für die Arbeit ihrer Vorfahren? Wie ist es mit den Nachfahren von jemandem, der ein Gebäude oder eine Brücke gebaut hat? Ein Maschinenbauer? Sogar Parlementsabgeordnete, denen sonst keine Selbstbereicherung zu schamlos ist, haben für ihre Nachfahren keine solche Regelung eingeführt. Meine Familie kriegt auch nichts, wenn ich vom Bus überfahren werde.
Update: Oh wow, ein Leser erklärt:
wenn der jemand auch der architekt war: jepp, da ist das genauso.
architekten haben ein copyright auf ihre werke, also die gebäude, die aus ihren entwürfen entstehen. und jepp, das copyright wird vererbt und gilt 70 jahre nach dem tod des architekten. ich habe in frankfurt mal einem hochhaus gearbeitet, auf dessen dach wir keine parabolantenne stellen konnten, weil die witwe des architekten dagegen einspruch eingelegt hat (die begründung war, dass die antenne die silhoutte des gebäudes verändert hätte).
Update: Ein Leser hat noch mehr Beispiele:
Das Drama um die verbesserte "Ulysses"-Übersetzung und ihre Blockierung durch Erben des verstorbenen Originalübersetzers, ist überhaupt nicht neu. Ich bin Literaturwissenschaftler und kenne diese Materie daher gut. Drei bekannte Fälle:
- In den 90ern verhinderten die Erben des französischen Schriftstellers Raymond Queneau (Autor u.a. von "Zazie in der Metro") Web-Versionen seiner "100,000 Milliarden Gedichte". Queneau war Mitglied von Oulipo, einer Gruppe von Dichtern und Mathematikern, die in den frühren 60er Jahren Pioniere auf dem Gebiet der Computerdichtung waren. Die "100,000 Milliarden Gedichten" waren Sonette - also vierzehnzeilige Gedichte - bei denen jeder Vers/jede Zeile beliebig zwischen zehn Alternativen gewählt werden konnte, was 10 hoch 14 mögliche Gedichtvariationen erlaubt. Im Buchdruck wurde das durch aufgeschlitzte Zeilen realisiert. Natürlich funktionierte das im Web viel besser, was aber nicht sein durfte.
- Der im spanische Dichter Federico Garcia Lorca hat in Deutschland völlig zu Unrecht einen folkloristisch-romantischen Ruf. Das lag an der hundsmiserablen deutschen Übersetzung seiner Gedichte durch einen verhinderten Romantiken, der "den klaren Stil von Lorca mit seinen eigenen dichterischen, aber erfolglosen Bestrebungen" zutünchte: "'Mädchen' wurden zu 'Mägdelein', 'Erbrechen' zu 'Gespei' und die 'fette Frau' zum 'feisten Weib'".
Daran änderte sich zwischen 1936 (der Ermordung Garcia Lorcas im spanischen Bürgerkrieg) und 2006 nichts, weil die spanischen Erben Lorcas auf der bestehenden deutschen Übersetzung bestanden. Erst nach Ablauf der Urheberrechte konnten vernünftige Neuübersetzungen erscheinen, aber da war der Ruf Lorcas in Deutschland gewissermaßen schon ruiniert.
- Der bekannteste Fall ist Franz Kafka, der Zeit seines Lebens nur wenige seiner Kurzgeschichtem publizierte und den größten Teil seines Werks - darunter seine drei Romane - unveröffentlicht nachgelassen hatte. Hier ist die Materie noch komplexer: Kafka beauftragte seinen besten Freund, den Schriftsteller Max Brod, alle unveröffentlichten Manuskripte zu verbrennen. Brod hielt sich glücklicherweise nicht daran und gab die Werke heraus. Allerdings griff er redaktionell stark in die Texte ein, weil er versuchte, ihren fragmentarischen Charakter abzuschleifen. Das ging so weit, dass er beim Roman "Der Prozess" die Reihenfolge der Kapitel selbst bestimmte, einige Kapitel aus den Manuskripten wegließ und sogar die Zahl der Personen, die die Hauptfigur zu ihrer Hinrichtung begleiten, von drei auf zwei reduzierte. Beim Roman "Der Verschollene" veränderte er den Titel zu "Amerika". Bis heute basieren die meisten Kafka-Ausgaben auf Max Brods Edition der Texte. Erst nachdem im Jahr 1994 die Urheberrechte an Kafkas Werk abgelaufen waren, konnten kritisch revidierte Editionen erscheinen. Eine davon war übrigens ausgerechnet von Roland Reuß, der heute - Ironie der Geschichte - der fanatischste Bekämpfer von Open Access geworden ist (mit einschlägigen Appellen und Artikel u.a. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung).
(Danke, Burkhard)