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Nun hört man sowas ja häufiger, und denkt sich dann, ach komm, so wenig Ausländeranteil wie ihr da habt, pfft, nun macht euch mal nicht ins Hemd! Wie schlimm kann das sein?!
Ich habe jetzt mal versucht, ein bisschen einzutauchen in die Panik-Postings, die sich die Chemnitzer gegenseitig zuschicken, die diese Angst auslösen. Und viel davon sind irgendwelchen Anekdoten zweifelhafter Herkunft und Belastbarkeit. Geschenkt.
Andere sind schon bedrohlicher, aber die kann man immer noch als Einzelfall wegdiskutieren. Und sich sowas denken wie: Das machen auch Deutsche, Rockerbanden oder so.
Einige verweisen aber auf die polizeiliche Kriminalstatistik. Hier ist ein Beispiel. Kernthese: Ausländer sind bei den Tatverdächtigen massiv überproportional vertreten. Da hab ich mich dann gefragt, ob das stimmen kann. Man würde ja denken, dass man das mal irgendwo thematisiert gesehen hätte, wenn das so wäre. Ich habe also mal geguckt.
Hier ist die polizeiliche Kriminalstatistik für den Direktionsbereich Chemnitz für 2017.
Ich zitiere mal großzügig:
Die Polizeidienststellen ermittelten insgesamt 9.453 Tatverdächtige, das waren 1.508 weniger als im Jahr zuvor.Der erste Punkt: Die reden hier nur von Tatverdächtigen. Interessanter wäre natürlich die Verurteilungen, aber die Polizei ist nur für die Ermittlung und Festnahme verantwortlich, in der Polizeistatistik werden also immer nur Tatverdächtige stehen, nicht Verurteilungen.Es wurden insgesamt 4.273 nichtdeutsche Tatverdächtige ermittelt (2016: 5.676). Das entspricht einem Anteil von 45,2 % (2016: 51,8 %). Über die Hälfte (52,5 %) verstießen gegen Bestimmungen des Aufenth/Asyl/FreizügG.
Der zweite Punkt: Verstöße gegen das Aufenthalts- und Asylrecht interessieren mich im Vergleich nicht, das sind schließlich Straftaten, die Deutsche nicht machen können. Außerdem ist die Aufklärungsquote dabei praktisch 100%. Wenn man die abzieht, kommt man auf 23001-2441 = 20560 Straftaten, 4273 nichtdeutsche Tatverdächtige (aber insgesamt, inklusive Aufenthalts- und Asylrecht), aber leider sagen sie für die Stadt Chemnitz nicht, wie hoch der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen war. Sie sagen, dass ca 50% eines Verstoßes gegen das Aufenthaltsrecht verdächtig war, aber das heißt ja nicht, dass die nicht auch einer anderen Straftat verdächtig waren, oder? Für den ganzen Landkreis sind es 20%. 20% ist als Angabe natürlich nur in Relation zum Ausländeranteil an der Bevölkerung brauchbar. Gucken wir also mal: Bevölkerung 250k, Ausländer 20k. Der Ausländeranteil in Chemnitz liegt also aktuell bei 7,5%.
Das Zwischenergebnis ist also: Bei einem Ausländeranteil von 7,5% sind Ausländer unter den von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen mehr als doppelt überrepräsentiert.
Da kann (und wird) es jetzt Gründe für geben. Manche hoffentlich gut, andere wahrscheinlich nicht so gut. Sowas wie: Die Delikte, die Ausländer begeben, haben höhere Aufklärungsquoten. Die Kriminellen aus dem Inland stellen sich schlauer an und werden weniger erwischt. Die Cops machen Racial Profiling.
Aus meiner Sicht ist ein Faktor von mehr als 2,5 aber eine Größenordnung, die man nicht einfach wegwischen kann. Da muss man mal drüber reden.
Wir haben übrigens gerade mal geguckt, und die Bundes-Statistik sieht ähnlich krass aus.
Ich befürchte, dass sich unsere ach so liberale Gesellschaft angewöhnt hat, Leute, die diese Diskussion mal führen wollen, direkt als Nazis und Rassisten abzustempeln und auszugrenzen. Meine Sicht ist: Wenn du die Diskussion nicht führst, garantierst du dadurch, dass das nicht besser werden kann. Ein Problem, das keiner ansprechen will, geht doch nicht von alleine weg!?
Ich vermute gerade mal, dass ich die Statistiken irgendwie fehlinterpretieren. Kennt zufällig jemand jemanden, der für die Erstellung einer solchen Polizeistatistik zuständig ist, und mir mal erklären könnte, wie man das richtig interpretiert?
Und dann hätte ich gerne mal ein Gespräch darüber angefangen, wie das jetzt weitergehen soll.
Ich kann jedenfalls niemandem in Chemnitz böse sein, wenn er sich bedroht fühlt. Die Kriminalstatistik rechnet dann auch vor, in welchen Delikten es große Steigerungen gab, und wo die Deliktzahlen zurückgingen. Die Unterschiede hier sind enorm zwischen dem Einflussbereich der Polizeidirektion Chemnitz (ich nehme an das beinhaltet das ganze Umland) und dem Gebiet der Stadt Chemnitz selbst. In Chemnitz selbst sind durch die Bank die ganzen Delikte hochgegangen, die für das persönliche Sicherheitsgefühl wichtig sind. Besonders schwerer Diebstahl in/aus Boden/Kellern/Wachküchen: +50%. Schwere Körperverletzung: +15%. Sonstige Raubüberfälle auf Straßen: +45%. Stalking +50%. Autodiebstahl +23%. Auf vergleichsweise geringem Niveau, aber der Trend geht klar aufwärts. Das ist also nicht einfach von der Hand zu weisen, wenn sich Chemnitzer unsicher fühlen.
Die Häufigkeitszahl (Delikte pro 100k Einwohner) liegen im Einzugsbereich der Polizeidirektion Chemnitz (also mit Umland) bei ~5000, in Chemnitz selbst bei ~10000, und zum Vergleich in Berlin bei ~15000.
Tja, und was jetzt?
Update: Die bisher häufigste Erklärung ist: Flüchtlinge sind halt junge Männer, und junge Männer sind auch bei uns krass überrepräsentiert in der Kriminalitätsstatistik. Anderer Erklärungsversuch: Das liegt an den sozialen Schichten, nicht an der ethnischen Herkunft. Und nicht zuletzt hat sich dazu auch mal die Bundeszentrale für politische Bildung geäußert.
Hier ein ausführlicherer Leserbrief:
Danke für deinen Beitrag zu Kriminalitätsstatistiken.
Als Sozialwissenschaftler und Statistiker will ich einen wichtigen Punkt hinzufügen zu deiner Erklärungsfindung. Das ist die Demographie der Einwanderer. Trotz aller Mängel im Deutschen Bildungssystem leben wir in einem der am weitesten entwickelten Ländern der Welt. Der durchschnittliche Flüchtling mag überdurchschnittlich gebildet sein (Flucht kostet Geld oder man benötigt andere Ressourcen, z.B. könnte man jemanden im Ausland kennen der helfen kann), aber man nimmt einen sozialen Abstieg in Kauf wenn man flieht - viele Akademiker können keinen äquivalenten Job finden, oder Abschlüsse werden nicht anerkannt.Worauf ich hinaus möchte: wir sollten Flüchtlinge nicht mit Durchschnittsdeutschen vergleichen. Sondern mit Deutschen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden. Damit kann man viele Trends erklären. Konkret in diesem Fall gibt es Millionen von Deutschen in sehr bequemen Jobs (zu denen viele meiner Freunde mit ausländischen Namen, egal ob sie den deutschen Pass haben oder nicht, nicht so einen leichten Zutritt haben, aber das ist ein anderes Thema), die vermutlich nie eine Straftat begehen werden - das tun Menschen in diesen Schichten nicht, nicht in Deutschland und in anderen Ländern ebenfalls nicht.
Wenn ich also dieses Phänomen statistisch analysieren würde, würde ich vermutlich auch das Geschlecht, Alter, Bildung und Wohlstand u.s.w. der Menschen in den Statistiken mitüberprüfen. In diesen Kategorien unterscheiden sich Deutsche und Flüchtlinge sehr. Es könnte sein, dass wenn man das mit in Betracht zieht sich ein Flüchtling nicht mehr sehr von seinem Deutschen Equivalent unterscheidet.
Persönlich würde ich sagen: man kann den Flüchtlingen wirklich nur schwerlich übel nehmen, dass sie im Schnitt eher männlich, jünger, weniger gebildet und nicht so reich wie der Durchschnittsdeutsche sind. Nichts davon ist intrinsisch schlecht oder böse, das ist einfach eine soziale Realität. Wenn alle Leute auf der Welt die gleichen Chancen hätten wäre der Unterschied in vielen Statistiken vermutlich nicht mehr so groß.
Und noch ein Erklärungsansatz: Taten durch Ausländer werden häufiger angezeigt als wenn "die Jungs von der Straße runter im Suff was anstellen". Das "Waffennarr"-Prinzip :-)
Ein Leser empfiehlt den Forschergeist-Podcast zu Konflikt- und Gewaltforschung.
Die gehen im Allgemeinen von 5 sozialen Motiven aus, die nicht befriedigt werden und dann zu Gewalt bzw. dem „Engagement“ in radikalen/gewalttätigen Gruppen führen: Stimme (gehört werden), Einfluss, Weltverständnis, Anerkennung, Zugehörigkeit.
Denke die gleiche Analyse trifft auch für die „Gegenseite“ zu. Hatte da mal ein Uni Projekt zu, wie man demokratische Werte steigern kann und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken könnte. Wenn man der Analyse folgt, dass der Kapitalismus (mal polemisch gesprochen) uns zu individualistischen Wettkämpfern am Markt erzieht, kann man sich vorstellen, dass da für manche Personengruppen grundsätzlich Defizite auftauchen werden bzgl. dieser 5 Motive.
Was mir persönlich noch fehlt ist eine Begründung, wieso die Chemnitzer sich nicht bedroht fühlen sollten. Selbst wenn das alles stimmt. Kann mir jemand schön verargumentieren, wieso das Bedrohungsgefühl der Chemnitzer irrational oder illegitim ist?
Update: Noch ein Faktoid am Rande: Wenn Migranten an schweren Straftaten beteiligt sind, richten sich diese fast immer gegen andere Zuwanderer.
Diesen Erklärungen entgegen stehen dann Artikel wie dieser hier, dass die Polizei in Berlin Diebstähle schon kaum noch verfolgt, weil sie eh nicht hinterherkommen.
Ein wichtiger Hinweis noch: Der Vergleich der Einwohnerzahl zu Ausländern begeht einen statistischen Fehler, weil die Ausländer ja nicht zu den Einwohnern zählen. Man müsste also auf der einen Seite Einwohner + Ausländer (und das beinhaltet auch Touristen!) haben und auf der anderen Seite die ausländischen Tatverdächtigen. Wenn eine Gegend viele Touristen hat, kann es sonst vorkommen, dass der "Anteil" (ist es eben nicht) ausländischer Tatverdächtiger über 100% der Bevölkerung liegt. Übrigens hat auch Thomas Fischer mal was zur Kriminalstatistik gesagt.