Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Ich bin ja über die Jahre häufig und gerne beruflich in andere Länder gereist, um dort bei Kunden Dinge zu tun. Ich habe in diesen anderen Ländern Menschen getroffen, und wir haben uns unterhalten.
Wisst ihr, was praktisch immer die erste oder zweite Frage war?
"Wo kommst du denn her?"
Wenn ich mir die ganzen furchtbaren Opfer-Origin-Stories gerade durchlese, dann muss ich konstatieren, dass ich ganz offensichtlich multiples Opfer von übelstem Rassismus der furchtbarsten Sorte geworden bin. Komisch, so fühlt sich das aber gar nicht an. Niemand, der mich das fragte, wollte mich ausweisen. Im Gegenteil. Die wollten gucken, ob sie den Akzent richtig geraten hatten. Und die wollten sich darüber freuen, dass wir in einer Welt leben, wo man nicht nur immer die selben Nachbarn um sich hat sondern Menschen aus anderen Ländern. Die Grenzen sind nicht für alle so durchlässig, klar. Der deutsche Reisepass öffnet mehr Grenzen als jeder andere Pass der Welt. Aber das ist ja eine andere Frage.
Der Punkt ist: Nachdem ich gesagt habe, dass ich aus Deutschland kommt, gehen die Fragen normalerweise mit "von wo denn genau" weiter, und gerade bei Amerikanern kommt dann gelegentlich, dass sie selbst oder ein Familienmitglied da mal irgendwo stationiert waren, ob ich von dem Dorf mit der Basis mal gehört habe. Und dann wie ich Amerika denn so finde. Was man sich in Deutschland unbedingt angucken soll, wenn man da hin fährt.
Klar nervt das nach dem 50. Mal ein bisschen. Aber aus meiner Sicht ist das Völkerverständigung und da macht man halt mit, um seinen Beitrag zu leisten. Ich habe mehrere Menschen so dazu gebracht, dass sie sich mal Deutschland angeguckt haben. Ich halte das für einen Gewinn. Dafür nehme ich gerne ein paar nervige Fragen hin.
Aus deren Sicht hätte das aber auch so enden können, dass ich "aus Pennsylvania" sage. Wäre das dann Rassismus gewesen? Ich finde auch nicht.
Ich kann natürlich nicht in die Köpfe der Leute gucken, die mich das gefragt haben. Aber ich kann euch sagen, wieso ich manchmal den Impuls verspüre, Leute zu fragen, wo sie herkommen. Weil ich das für einen Sieg und eine Errungenschaft halte, mit Menschen aus fremden Ländern reden zu können. Das ist eine Errungenschaft, die ich zu feiern gewillt bin, indem ich gelegentlich Leute frage, wo sie herkommen. Damit ich mich daran ergötzen kann, dass ich nicht nach Syrien reisen muss, um einen Syrer auf der Straße zu treffen.
Rassist ist, wer rassistische Dinge tut. Menschen fragen, wo sie herkommen, ist kein rassistischer Akt.
Übrigens: Wenn man Leute fragt, kann man tolle Überraschungen erleben. Der, den du in deiner Ignoranz vielleicht für einen Türken gehalten hast, stellt sich als Israeli heraus, und erzählt dir dann schöne Geschichten aus dem Kibbuz und wie sie Wein angebaut haben. Der, den wie ein Schwarzafrikaner aussah, stellt sich als Börsenzocker aus London heraus, und erweitert deinen Horizont.
Mit Menschen reden und sich ihre Geschichten anhören ist nie etwas Schlechtes. Das ist die Basis der Gesellschaft, des Zusammenlebens. Lasst euch das nicht wegnehmen.
Man kann sich alle Errungenschaften und Siege kaputtmachen. Aber dann ist man halt sein Leben lang unglücklich. Auch "Sie sprechen aber toll Deutsch" kann man positiv wie negativ sehen. Offensichtlich wollte da jemand ein Kompliment machen. Komplimente und Lob sind in Deutschland rar im Vergleich zu anderen Ländern. Macht nicht die 0,3% der Bevölkerung kaputt, die es immerhin noch versuchen. Gebt ihnen stattdessen ein Kompliment zurück. Ihr werdet sehen: Dann geht es danach denen und euch besser, ihr schlauen und gutaussehenden Leser, ihr! :-)
Update: Auf eine kurze Formel zusammengedampft: Nimm immer an, dass der andere es gut meint.
Update: Ein Leser weist darauf hin, dass Deutschland von Singapur überholt wurde. Unser Ausweis öffnet 165 Grenzen ohne Visum, der von Singapur 166. Und die USA haben aufgeholt und kommen in genau so viele Länder ohne Visum wie wir! Da war ich nicht auf dem aktuellen Stand.
Update: Pro-Tipp: Nicht nach der Herkunft fragen. Leute, die das ansprechen wollen, sprechen es von sich aus an. Und so eilig ist eure Neugier nicht.