Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Das ist eine Frage, die bei mir häufiger in Einsendungen artikuliert wird.
Eine Theorie, die ich gehört habe, ist dass "der Zweck halt die Mittel heiligt". Das geht aber glaube ich zu weit. Ich glaube, dass die Entscheidung hier nicht in absoluten Werten getroffen wird, sondern in relativen. Ich glaube, dass das nur geht, weil die Leute sich ein Weltbild zurechtgelegt haben, das die Untaten der Gegenseite schlimmer einschätzt als die eigenen Untaten.
Ich dachte eine Weile, dass die Leute gar nicht merken, wenn sie selbst intolerant sind, aber das hat sich bisher überhaupt noch nicht bestätigen lassen, wenn ich sie auf ihr Verhalten angesprochen habe. Uns Menschen ist bewusst, wenn wir etwas unmoralisches tun, und wir brauchen vorher ein moralisches Framework, in dem der Gegenüber das verdient hat, beispielsweise weil er mehr auf dem Kerbholz hat als wir. Das konnte ich jetzt schon häufiger live beobachten, wie die eigene Intoleranz am Ende dadurch rationalisiert oder gerechtfertigt wird, dass man sagt, aber der Trump ist ja noch viel schlimmer. Aber das sind doch Rassisten! Nazis! Frauenhasser! Auch "mit solchen Leuten kann man doch nicht mehr reden" halte ich inzwischen für eine nachträgliche Rationalisierung dafür, dass man es nie probiert hat.
Woran kann man das festmachen? An der Nazi-Keule zum Beispiel. Wenn die andere Seite Nazis sind, dann ist ja wohl ganz klar jede Gegenwehr legitim.
Ich weiß natürlich nicht, ob meine Einschätzung stimmt oder nicht. Aber ich habe mir eine Gegenstrategie zurechtgelegt, die ihr wahrscheinlich schon beobachten konntet hier im Blog. Ich achte darauf, bei allen sich bietetenden Gelegenheiten die moralischen Standards, die wir auf die Gegenseite anwenden, auch auf uns anzuwenden.
Wenn euch das bei mir also nervt, dann wisst ihr jetzt, wieso ich das immer mache.
Macht doch mal eine kleine Übung. Achtet mal darauf, wenn Leute in so Kategorien wie "Rassist", "Nazi", "antiamerikanisch" oder "frauenfeindlich" reden. Achtet mal darauf, ob die im selben Atemzug Sanktionen fordern oder androhen. Dann liegt der Verdacht nahe, finde ich, dass es sich um eine Rationalisierung handelt. Beobachtet das am besten natürlich bei euch selbst. Aber wenn ihr es bei jemand anderem beobachtet, dann probiert doch mal, dazu ein Gespräch zu starten.