Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Relevanz ist doch aber wichtig, weil sonst Oma Marta einen Artikel zu ihrem Hund reinstellen würde, und wo kämen wir dann hin. Und wie ist das mit den Pokemons? Die haben wir reingelassen, und jetzt sehen wir ja, was wir davon haben! Da kommen jetzt Leute und wollen zu jedem Pokemon eine eigene Seite! Zu jedem! Eine eigene Seite!!
An der Stelle kommt von mir dann gewöhnlich die Frage, was denn daran so schlimm wäre. Ich kann das auch ernsthaft nicht nachvollziehen, wo da das Problem ist. Wenn wir uns einig sind, dass die Seiten unrelevant sind, wem schaden sie dann? Dann klickt doch eh keiner drauf, wenn sie unrelevant sind. Dann kann da auch unwichtiger Kram stehen.
Wegen der Relevanzkriterien möchte ich mal ein konkretes Beispiel nennen. Über das Artikelsterben habe ich vor ein paar Tagen gesehen, dass es einen Löschantrag für Adämonisten gibt. Inzwischen steht da, es handele sich um einen Urheberrechtsverstoß. Gut, das ist eine Sache, die ich als Grund akzeptiere. Aber vor ein paar Tagen standen da drei Zeilen Text. Wenn ich mich recht entsinne, entsprach der Text weitgehend der Wortdefinition auf dieser Seite. Ich finde diesen Eintrag ein tolles Beispiel für Relevanzdiskussionen. Es handelt sich hier um einen Begriff, der von Wissenschaft und Ratio nicht weiter entfernt sein könnte, und bei dem Quellenangaben sinnlos sind. Es geht um Vampire, Dämonen und Astralkörper. Völliger Mumpitz also in meinem Weltbild. Trotzdem wäre diese Definition des Begriffes genau das, was ich dazu in der Wikipedia erwarten würde. Mein Benutzungsmuster für die Wikipedia ist, dass ich irgendwo auf ein Wort treffe, das ich nicht kenne oder bei dem mein Verständnis der Wortbedeutung in dem Kontext keinen Sinn hat. Dann laufe ich zur Wikipedia und gucke nach. Und wenn ich dort die obige Definition finde, hat mir die Wikipedia geholfen. Und zwar deutlich mehr, als wenn jemand für mich entschieden hat, dass Adämonisten Mumpitz ist und in der Wikipedia nichts verloren hat. Denn, bei aller Freundschaft, diese Entscheidung kann und will ich selber treffen. Genau wie ich nicht möchte, dass meine Regierung für mich entscheidet, welche Nachrichten oder Bücher für mich relevant sind. Und, mal unter uns, wenn da was von Astralkörpern, Vampiren und Dämonen steht, dann brauche ich nicht eure Hilfe, um das als das zu erkennen, was es ist. Als Mumpitz.
Diese Runde endet dann gewöhnlich an der Stelle. Wikipedianer hatten an der Stelle bisher immer kognitive Dissonanz. Das ist eine Frage des Weltbildes. Im Wikipedia-Weltbild ist das ein Axiom, dass es schädlich ist, wenn unrelevante Artikel in der Wikipedia sind. Niemand kann ernsthaft der Meinung sein, dass das kein Problem sei. Wenn wir uns dann physisch gegenübersitzen und man an unserer Körpersprache erkennen kann, dass wir das ehrlich nicht für ein Problem halten, kollidieren Weltbild und Realität und kognitive Dissonanz setzt ein.
Nun ist ja nicht unerforscht, was in so einem Moment im Gehirn geschieht. Wenn man eine Kollision zwischen Weltbild und Realität hat, dann ist das meistens dadurch ausgelöst, dass man gerade einen Fehler gemacht hat. Das Gehirn fängt dann an, rückwirkend Erklärungen zu finden, warum man das gerade gemacht hat. Ähnliche Mechanismen treten an der Stelle üblicherweise in Kraft, und es kommen progressiv weniger überzeugende Argumente, wieso das schlecht wäre. Häufigstes Argument ist bisher, dass dann ja jeder Werbung reinstellen könnte, und dann würde Wikipedia ja zu einer kostenlosen Werbeplattform verkommen, und die Spender wären sauer, dass mit ihren Spenden eine Werbeplattform finanziert würde. Das Argument klingt ja erstmal ganz gut, aber es ist ein Strohmann. Denn wir sagen ja nicht, dass der Inhalt eines Lemmas nicht relevant sein muss. Wir sagen nur, dass für das Lemma selbst keine oder sehr lasche Relevanzkriterien gelten sollten. Wenn jemand Werbung oder Falschaussagen zu einem Lemma ins Netz stellt, dann sollen die natürlich weiterhin entfernt oder NPOV-konform umformuliert werden. Das ist ein orthogonales Problem. Aber gut, das ist letztlich eine Frage, bei der man geteilter Meinung sein kann.
Der Punkt, auf den ich die ganze Zeit eigentlich hinaus wollte, ist dieser: Als nächstes (und letztes) kommt dann, wir sollen doch mal konstruktive Gegenvorschläge machen.
Ich (oder wir, denn normalerweise bin ich ja nicht alleine in solchen Debatten) hole dann immer meine Liste raus. Wir haben eine längliche Liste von Vorschlägen erarbeitet. Wir haben sie gebloggt. Ich habe Vorschläge gebloggt. Frank hat sie gebloggt. Kris hat Vorschläge gebloggt. Pavel hat Vorschläge gebloggt. Wir haben uns alle gegenseitig verlinkt. Wir sind von diversen anderen Blogs und von Zeitungen verlinkt worden. Wir haben eine Radiosendung gemacht, wo wir zwei Stunden lang unsere Vorschläge vorgestellt und darüber geredet haben. Wir (also meine Freunde, nicht ich) sind zu diesem Wikimedia-Treffen gegangen und haben dort versucht, unsere konstruktiven Vorschläge zu thematisieren. Daher hatten wir noch nie Schwierigkeiten, unsere Vorschläge zu bringen. Normalerweise endet das Gespräch dann. Und heute ist es mir beim Reflektieren wie Schuppen von den Augen gefallen. Keiner hat darauf jemals eine Antwort erwartet!
Lasst mich das in einem neuen Absatz nochmal hinschreiben.
Die Frage nach konstruktiven Gegenvorschlägen von uns ist, so glaube ich jetzt erkannt zu haben, immer rhetorisch gemeint gewesen.
Das ist natürlich schwer nachzuweisen, aber ich habe Indizien. Z. B. beim Chaosradio, da kam nach 10 Minuten Gespräch von Sargoth (dem Wikipedianer, den Frank eingeladen hatte), die überraschte Ansage, er sei total verwundert, dass wir uns da so viel Gedanken gemacht hätten. Und vorgestern im Club bei dem Gespräch mit Juliana und Ralf, da wurde das auch deutlich. Ich will mal versuchen, die Situation zu schildern. Und, bitte, ich meine das keinesfalls negativ über Juliana, Ralf oder Sargoth hier! Es ist aber essentiell zum Verständnis des Problems, warum unsere Diskussion nicht weiterkommt gerade.
Also. Anekdoten-Zeit. Vorsicht: Wir haben das Gespräch nicht aufgezeichnet, und das ist jetzt zwei Tage her, und ich will einen Punkt machen. Ich überspitze leicht.
Juliana und Ralf kommen rein, setzen sich, ich mache mein Notebook aus und hole einen Block und einen Stift raus.
Erstaunen.
Juliana packt ihr Netbook aus, schließt es an unser Internet an (ja, im Club gibt es im Gegensatz zu Wikimedia freies Internet für Gäste :-) ), hat die Wikipedia als Homepage eingestellt. An dieser Stelle zeigt sie mir etwas, das jetzt aber keine Rolle spielt gerade, das kann ich vielleicht später nochmal thematisieren.
Der Punkt ist: Ich mache mein Notebook aus zum Gesprächsbeginn, sie macht ihres an. Ich habe einen Block dabei, um mir Notizen zu machen. Sie nicht. Denkt mal drüber nach, was das über die Gesprächsteilnehmer und ihre Intentionen und Vorstellungen zum Ziel des Gesprächs aussagt. Als wir dann unsere Liste mit konstruktiven Vorschlägen ausbreiteten und da Diagramme malten und ihr Stichworte gaben, hat Juliana die schon mitgeschrieben, auf meinem Block dann halt. Ich will ihr nicht vorhalten, dass sie keinen Block dabei hatte, darum geht es nicht. Es geht darum, dass ich den Eindruck hatte, eigentlich wollten die nicht wirklich von uns hören, was wir für Vorschläge haben. Oder genauer: Sie gingen davon aus, wir hätten keine. Ich hatte sogar ein bisschen das Gefühl, sie hielten uns für Trolle. Genau das Zerrbild, das in der Wikipedia von den bösen Bloggern gepflegt wird. Sie dachten, unser Kritik-Kartenhaus fällt in sich zusammen, wenn sie uns nach konstruktiven Vorschlägen fragen.
Nochmal: Ich will hier weder Sargoth noch Juliana noch Ralf beschimpfen oder kritisieren, im Gegenteil. Hut ab! Hochachtung! Respekt! Ihr hattet im Gegensatz zu den anderen Wikipedianern genug Arsch in der Hose, um euch mit uns zu treffen, um mit uns zu reden! Es gab noch andere, aber ich nenne nur diejenigen, die sich öffentlich mit uns getroffen haben und nichts dagegen hatten, dass wir ihre Namen nennen. Es tut mir leid, dass ich meinen Punkt an euch illustrieren muss, weil sich so viele andere hinter ihren Pseudonymen verstecken und lieber Foren-Heckenschützen sein wollen, als sich über die Zukunft der Wikipedia Gedanken zu machen.
Oh, und eines noch. In den Diskussionen sind unsere Gedanken zur Zukunft der Wikipedia häufig ein-zwei Größenordnungen weiter gediehen als was aus der Wikipedia selber kommt (und komme mir jetzt keiner mit "Kompass 2020"). Ich meine damit das, was die Wikipedianer im Gespräch an Vorschlägen und Argumenten haben. Vermutlich wird es da schon irgendwo Webseiten geben in der Wikipedia, wo sich auch schon mal jemand richtig tiefschürfend Gedanken gemacht hat. Während wir Strategien diskutiert haben, wie man die Benutzerführung konkret ändern könnte, um das Verhalten der Nutzer zu verbessern, und während wir uns Gedanken gemacht haben, von welchen psychologischen Effekten das aktuelle Verhalten der User und Admins in der Wikipedia befördert wird, und wie man das verbessern kann, kamen an Vorschlägen von der Gegenseite bisher eher Schulterzucken und Durchhalteparolen. Es gibt in Deutschland soviele Wikipedia-Stammtische! Das kann doch nicht sein, dass ihr da nur Bier trinkt? Denkt da wirklich niemand tiefschürfend darüber nach, wie man die Welt verbessern kann?!
Also bitte, liebe Wikipedianer. Helft uns, das Niveau der Diskussion zu erhöhen.
Ein guter erster Schritt wäre, wenn ihr vor dem Diskutieren unsere bereits veröffentlichten Vorschläge und Argumente zur Kenntnis nehmt. Das Ziel der Diskussion ist ein Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten, nicht nur auf eurer. Und für uns wird das deutlich befriedigender, wenn wir von euch auch mal neue Argumente oder reflektierte Gedankengänge zum Thema Zukunft der Wikipedia hören können. Und ja, ihr könnt davon ausgehen, dass wir uns eure Standard-Argumente auch vorher durchgelesen haben.
Update: In den Diskussionen zum Wikipedia-Kurier geht es gerade hoch her. Ich poste keinen Link, weil ich die Wikipedia ja nicht mit Schmutz bewerfen will hier, sondern an einer Klärung interessiert bin. Aber eine Sache will ich aufgreifen, die Markus Cyron dort anspricht. Da kommt die Frage, wieso wir uns an so technischen Dingen aufhalten. Was eine Eingabemaske mit dem Löschen von Artikeln zu tun hat. Der Hintergrund ist die Disziplin "User Interface Design" und hat viel mit Psychologie zu tun. Ich will das mal an einem einfachen Beispiel erläutern. Stellt euch mal folgendes Experiment vor. Ein Raum, darin 20 Leute, die die Versuchsperson nicht kennt, und eine Versuchsperson vor der Tür. Du sagst der Versuchsperson, dass die drei Leute links hinten in der Ecke in dem Raum drei Störer sind, um die sich die Versuchsperson kümmern soll. Der 1. Versuchsperson gibst du als Werkzeug Handschellen und eine Polizeiuniform. Der 2. Versuchsperson gibst du einen Block Papier, einen Stift, einen Tisch und Stühle. Der mit den Handschellen wird vermutlich versuchen, die Störer festzunehmen und rauszuschmeißen. Der mit dem Block wird sich vermutlich mit den Störern hinsetzen, ihnen zuhören, und sich Notizen machen.
Beim User Interface Design (und bei unseren Vorschlägen) geht es darum, mit möglichst wenig Aufwand Einfluß darauf zu nehmen, in welcher Rolle sich die User sehen. Was sie als ihre Handlungsoptionen wahrnehmen. Im Moment gebt ihr den Leuten Handschellen, und wir möchten ihnen einen Block Papier geben. Mal übermäßig vereinfacht. Also, Markus, wir erklären das auch gerne noch mal im persönlichen Gespräch in den Clubräumen, wenn du dich mit uns treffen willst. Schreib mir einfach ne Mail, dann machen wir ein Treffen.