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„Niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe.“ Deutschland habe „eines der besten Sozialsysteme der Welt“. Mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“. Der Funke Mediengruppe hatte der CDU-Politiker zudem gesagt, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut. Er fügte hinzu: „Mehr wäre immer besser, aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“Der Aufschrei war groß, alle zerrissen sich das Maul, auch ich habe Mail dazu gekriegt. Ich halte den Spahn nicht für böse. Der hat nur in seinem Leben noch nie Armut erlebt oder gesehen. Wenn der mal ein Obdachlosenasyl besuchen würde, oder eine Tafel, und zwar ohne Ankündigung und ohne Begleitung und ohne Bodyguards, nur er und die Leute da, dann wäre der anders drauf.
Ich finde, man muss da vorsichtig und zurückhaltend mit dem Schimpfen sein. Klar war das keine sensible Äußerung und inhaltlich verwerflich. Aber seine Haltung ist eine natürlich menschliche Reaktion. Ich habe ja eine eigene Firma und kann daher sowohl sehen, wieviel die Firma zahlt, und wieviel auf meinem Konto ankommt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in der Schule erzählt bekam, dass die Kirchen im Mittelalter "den Zehnten" einforderten. 10% wollten die haben! Einfach so! 10%! Ich fiel aus allen Wolken. Das Konzept der Steuern war mir noch nicht bekannt. 10% fand ich absolut krass überzogen viel. Ich weiß nicht, was ich so gedacht hatte, wieviel man so Steuern zahlt, aber 10% fand ich absolut krass. Als mein Vater mir dann erzählte, der Spitzensteuersatz läge bei über 50%, bin ich fast umgekippt.
Ich bin mir sicher: Niemand findet das in Ordnung, wenn er was leistet, dafür bezahlt wird, und dann kommt jemand anderes und greift ins Säckel und nimmt die Hälfte weg.
Das rationalisiert man sich dann irgendwie zurecht, damit man weitermachen kann.
Meine Rationalisierung war: Davon werden die Straßen repariert. Dann fiel mir auf, in welchem Zustand unsere Straßen sind.
Die nächste Rationalisierung war: Davon wird den Armen geholfen. Niemand muss bei uns hungern oder sterben, wenn er krank ist, und sich keine Krankenversicherung leisten konnte. Das kostet viel Geld!
So und mit dieser Brille wird der Spahn jetzt darauf angesprochen, dass Hartz IV ja nicht reicht. Der denkt doch dann nicht darüber nach, wieviel Geld Hartz IV auszahlt, sondern wieviel Steuern er jetzt schon zahlt. Das "das reicht" bezieht sich doch nicht wirklich darauf, ob das für die Hartzer reicht, sondern ob ihm das reicht. Und ihm reicht das, dass soviel Kohle abgeht.
Das ist glaube ich sogar unabhängig davon, wieviel Geld tatsächlich abgeht. Die Amis sind auch immer wieder massiv unzufrieden damit, wieviel Steuern sie zahlen müssen, und die zahlen die Hälfte von uns! Außer Warren Buffet und Bill Gates findet niemand, dass man die Steuern ruhig mal ein bisschen erhöhen könnte.
Insofern nicht den Spahn anfeinden, sondern ihn mal an der Hand nehmen und mit ihm zu einer Tafel gehen, unangemeldet, verkleidet am besten. Sich in die Schlange stellen. Das mal auf sich wirken lassen.
Ich kam gerade drauf, weil es zu der Sache doch recht unterhaltsamen Internet-Humor gab :-)