Fragen? Antworten! Siehe auch: Alternativlos
Um Diego Garcia gibt es seit Jahrzehnten Streit, der in Großbritannien zu einigen geradezu grotesken Verrenkungen geführt hat, u.a. zur Einführung eines Supreme Court, nachdem das bis dahin höchste Gericht, der High Court, in der Sache gegen die Regierung entschieden hatte (hier gibt es dazu Kontext).
Gibt es jetzt endlich Gerechtigkeit für die vertriebenen Ureinwohner? Klingt fast so.
Aber es gibt noch eine Auswirkung, die möglicherweise mehr von euch betreffen wird als der politische Teil oben. Das Chagos-Archipel hat bislang die Top-Level-Domain .io, für British Indian Ocean Territory. Das gibt es ja dann nicht mehr, also wird nach ICANN-Richtlinien die TLD abgeschaltet werden. Das betrifft echt viele Techbro-Startups.
Auf der anderen Seite gibt es ja auch .su noch, insofern vielleicht nicht so dringend wie man annehmen könnte.
Update: Aus der Pressemitteilung der britischen Regierung:
Under the terms of this treaty the United Kingdom will agree that Mauritius is sovereign over the Chagos Archipelago, including Diego Garcia. At the same time, both our countries are committed to the need, and will agree in the treaty, to ensure the long-term, secure and effective operation of the existing base on Diego Garcia which plays a vital role in regional and global security. For an initial period of 99 years, the United Kingdom will be authorised to exercise with respect to Diego Garcia the sovereign rights and authorities of Mauritius required to ensure the continued operation of the base well into the next century.
Nun, heute ging es erstmal nur um die Frage, ob er die nächste Instanz anrufen darf. Das ist noch nicht entschieden. Die Richter haben Unterlagen angefordert, mit Frist bis zum 3.4., höre ich gerade von einem Prozessbeobachter. Das kann und wird sich also noch eine Weile hinziehen.
Ja gut, aber immerhin gibt es da überhaupt ein Gericht, dass er noch anrufen konnte! Es gibt einen Rechtsstaat! Eine ordentliche Gerichtsbarkeit!!1!
Äh ... ja und nein.
The judge set to rule on the Assange extradition case was previously paid to represent the interests of MI6 and the Ministry of Defence - whose activities WikiLeaks has exposed.
Das wird bestimmt mindestens so fair und rechtsstaatlich wie damals bei Diego Garcia.
Ja aber Fefe, das südchinesische Meer! Da ist China doch ein fieser Aggressor! Dieses Video erklärt ganz schön, wieso China da so einen auf dicke Hose macht, wieso sie unfassbar viel Geld in ihre Marine gesteckt haben (und immer noch stecken), und was da eigentlich von wem verteidigt wird.
Für China ist das die wichtigste Importroute für Energie, und die wichtigste Exportroute für alle Güter.
Für die Chinesen ist das also existenziell wichtig, dass diese Route frei bleibt, insbesondere auch dann, wenn irgendjemand mal einen Krieg gegen China führen möchte, denn ansonsten könnte man über eine Blockade der Straße von Malakka einmal Chinas Wirtschaft runterfahren, und das beinhaltet deren Rüstungsindustrie.
Wenn also jemand mal gegen China einen Krieg führen würde, wäre es der offensichtliche Schachzug, die Straße von Malakka zu blockieren, und dann wäre China praktisch automatisch besiegt.
Die Alternativroute wäre einmal um Australien herum. Die Amerikaner haben den Australiern gerade Atomuboote geliefert. Dreimal dürft ihr raten, wie das aus der Perspektive von China aussieht.
Ja aber Fefe, argumentierst du hier etwa, dass China das Recht haben sollte, in internationalen Gewässern oder gar in von anderen Ländern beanspruchten Territorien ihre Interessen durchzusetzen?
Nee. Finde ich nicht gut, wenn Länder das tun. Aber wenn wir es für uns in Anspruch nehmen, können wir China das nicht verweigern. Und bei der Gelegenheit können wir ja auch mal klären, mit welchem Recht eigentlich die Amerikaner da ständig in der Gegend rumhängen, und was jetzt eigentlich mit Diego Garcia ist.
Wenn man die Lage mal ganz eigennützig aus unserer Perspektive als Deutschland betrachtet, will China da im Wesentlichen ihre Export-Linien nach Europa verteidigen. Wir haben jetzt während Covid gesehen, wie existenziell wichtig das für uns ist, dass diese Export-Linien offen bleiben. Man könnte also argumentieren, dass China im südchinesischen Meer unsere Interessen verteidigt. :-)
Ja aber Fefe, der Xi ist doch so ein fieser Autokrat! Ja und? Wie die ganzen arabischen Länder, mit denen wir nicht nur munter Handel treiben sondern ihnen sogar Waffen liefern.
Ja aber Fefe, die foltern doch die Uiguren! Ja. Das ist ein Problem. Aber auch das hat uns in anderen Ländern nicht gestört. In Saudi Arabien köpfen sie öffentlich Menschen auf dem Marktplatz. Versteht mich nicht falsch: Ich fände das super, wenn wir mal eine klare Linie gegen Folterknäste und -lager und Fanatismus insgesamt durchsetzen würden. Dann aber bitte überall. Solange in unseren Knastzellen inhaftierte Asylbewerber spontan in Flammen aufgehen, sollten wir aber mal ganz leise sein, wenn es um Menschenrechte geht.
Hey, apropos. Hatten wir damals eigentlich was gegen die CIA-Folterknäste getan? Gegen Guantanamo? Gegen die Rendition-Flüge?
Nun war das trotzdem ein bisschen ein Eiertanz, denn es gab ja schon ein vorhergehendes Urteil, das eine Auslieferung Assanges ausschloss. Das war ja begründet. Die Justiz der Briten mag ein Treppenwitz sein, aber selbst die machen keine höchstrichterlichen Urteile ganz ohne Begründungen.
Die Begründung war: Die unmenschlichen Haftbedingungen der Amis.
Gut, die Amerikaner haben schon für das vorherige Verfahren "versprochen", dass dem Assange keine Todesstrafe droht. Sonst hätte es schon letztes Mal gar kein Verfahren geben müssen. Die Sache wäre schon formal völlig klar gewesen. Aber lebenslange Einzelhaft im Supermax-Knast ist halt immer noch ein Bruch der Menschenrechte. Und so haben Bidens Diplomaten jetzt schön die Finger hinter dem Rücken gekreuzt und den Briten ins Gesicht gelogen, diese Art von Misshandlung sei ausgeschlossen. Fußnote im Kleingedruckten:
But in their ruling on Friday, they sided with the US authorities after a near-unprecedented package of assurances were put forward that Assange would not face those strictest measures either pre-trial or post-conviction unless he committed an act in the future that required them.
Aber hey, die Briten hatten noch nie ein Problem damit, einen Berg der Schande über sich aufzutürmen. Ihr könnt ja mal kurz Diego Garcia nachschlagen.Ich möchte an dieser Stelle nochmal darauf hinweisen, dass inzwischen aktenkundig ist, dass die US-Geheimdienste Wege diskutiert haben, wie sie Julian Assange ermorden können. Was sagt der "Richter" dazu?
Lord Burnett of Maldon, lord chief justice, and Lord Justice Holroyde added in their ruling: “There is no reason why this court should not accept the assurances as meaning what they say. There is no basis for assuming that the USA has not given the assurances in good faith.”
Klar, niemand hat so viel good faith wie die Amerikaner! Thoughts and prayers!Wenn ich mal kurz meine Glaskugel polieren darf: Die USA haben auf dem Papier Gewaltenteilung und unabhängige Justiz. Die ist zwar in der Praxis weder unabhängig (der geheim tagende FISA-Court beispielsweise weist keine Überwachungsanforderungen des Staates zurück. Keine) noch gewaltengeteilt (die Bundesrichter werden von der gerade regierenden politischen Gerrymander-Mehrheit ernannt), aber jetzt, wo es um die Interessen des Bidenschen Pressevernichtungsapparats geht, da könnte man sich prima darauf berufen.
Der Sonneborn ist auch etwas ungehalten und veröffentlicht dazu sogar eine Drucksache.
Ja aber Fefe, es gibt doch noch den Supreme Court! Bei dem kann der Assange doch noch einen Appeal eintüten! Wenn ihr das denkt, dann habt ihr wohl nicht mitgeschnitten, wie es zu diesem Gericht kam. Der wurde für Diego Garcia gegründet, damit die Regierung sich über das Urteil des High Courts hinwegsetzen konnte. Wie, sowas geht? Klar geht das, wenn man keine Verfassung hat. Und ein Winner-Takes-All-"Wahlrecht".
Nanu? Haben die Richter im Brexit-Umabhängigkeitstaumel verdrängt, dass Großbritannien Airstrip One ist? Der Blinddarm der USA? So unabhängig wie Diego Garcia?
Auf der einen Seite ist das eine elegante Lösung für die Amis, weil jetzt keiner von denen in die Verlegenheit kommt, den Ruf der USA noch weiter zu ruinieren, und niemand kann was dafür. Auch nicht die Briten. Unabhängige Justiz und so.
Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, dass das ein Deal der Amis war, um sich aus der Affäre zu ziehen. Das wäre das erste Mal, dass die eine Gelegenheit verstreichen lassen, sich auf Kosten eines Schwächeren als Starker Mann zu inszenieren.
Auf der dritten Seite sind Julians Haftbedingungen in UK ja offenbar genau so übel wie die in den USA gewesen wären, ein veritabler IRA-Folterknast. Der Abschreckungseffekt ist also da.
Tolle politische Lösung! Alle Ziele erreicht!
Aber es ist natürlich der Gipfel der Verlogenheit, wenn das britische Gericht das Auslieferungsverbot ausgerechnet mit den schlechten Haftbedingungen in den USA begründet. Nachdem die Briten Julian seit Jahren in ihrem Folterknast foltern.
UNSER Folterknast ist humanitär, angemessen, verhältnismäßig und gut! Oder, wie mein Freund Rop es formuliert hat: Du weißt, dass die Menschenrechtssituation in deinen Gefängnissen international untragbar geworden ist, wenn sich sogar die Leute mit den Glaskäfig-Schauprozessen weigern, ihre Folterknast-Insassen an dich auszuliefern.
Warum schreibe ich Folterknast, wenn ich von den Briten rede? Glenn Greenwald hat da mal ein Statement der Richter rausgesucht, das das gut auf den Punkt bringt. "Er hatte bei uns Zugang zu einer Samariter-Selbstmordhotline". Hey, wie wäre es mit einem Gefängnissystem, bei dem man keine Selbstmordhotline braucht?
Falls Chagos euch nichts sagt: Die Hauptinsel Diego Garcia war schon häufiger im Blog.
Es geht übrigens nicht um irgendwelche Flüge, sondern die über Diego Garcia. Wem das nichts sagt, der soll sich mal in Ruhe die Geschichte dazu durchlesen. Die Insel taucht gelegentlich hier im Blog auf. (Danke, Magnus)
Was seit dem passiert ist, ist wie direkt aus Monty Python:
In 2000, High Court judges ruled that Chagossians could return to 65 of the islands, but not to Diego Garcia.In 2004, the government used the royal prerogative - exercised by ministers in the Queen's name - to effectively nullify the decision.
Last year, the court overturned that order and rejected the government argument that the royal prerogative was immune from scrutiny. The government had asked the Lords to rule on the issue.
Royal Prerogative? Da zieht es mir ja die Schuhe aus. WTF?! Ein Hoch auf den High Court, dass die diesen Scheiß nicht einfach gefressen haben. Un-faß-bar. Aber wie gesagt hat die Politik reagiert, indem sie einen noch höheren Gerichtshof geschaffen haben, den Supreme Court of the United Kingdom. Nun gibt es diesen Supreme Court noch nicht, und solange übernimmt halt direkt das Oberhaus. Gewaltenteilung? Brauchen wir hier nicht. Die Regierung entscheidet darüber, ob sie selbst legal gehandelt hat oder nicht. Was kann da schon schief gehen.